Es sind die Details
1. August 2020
Ein Song pro Abend reicht. Aber bitte ein Guter.
Seid meines Grußes gewiss!
Ja, ich bin alt.
Na, und? So f*****g what? (Ich möchte gerne lösen! Das gesuchte Wort ist... ähm... Faltung? Nein? Ach, Männo...)
Die Maschine Mensch macht mir manchmal zu schaffen; das Kreuz, verstehste? Meine Augen sehen auch nur noch, was sie wollen, und wenn ich am Abend die Schuhe ausziehe mache ich manchmal Geräusche, wie ein sterbender Elch. Aber all das ist total okay mit mir. Und dafür gibt es auch einen Grund.
Du kannst halt nicht alles haben. Jung sein und trotzdem zumindest noch die letzten Überreste von dem mitbekommen zu haben, was man „echte“ Rockmusik nennen könnte, geht nun mal nicht. Und das bringt mich zu meinem heutigen Thema (reichlich spät, ich weiß, aber wenn Du der Meinung bist, ein Blog sollte flott konsumierbar sein, dann liest Du vielleicht den falschen Blog...).
Gestern Abend auf der Terrasse (ja, schon wieder eine Terrassenstory, es ist halt Sommer) lief auf meinem Handy ein Youtube-Video von den Hall Of Fame Inductions aus dem Jahr 2004. Sollten 16-jährige unter den Lesern sein: Ja, das ist das Jahr, in dem für Euch der ganze Ärger erst losging.
Tom Petty, Jeff Lynne, Prince, Steve Winwood und nicht zuletzt Dhani Harrison, George Harrisons Sohn, performen zusammen auf der Bühne den Klassiker „While my guitar gently weeps“. Natürlich ist das Hochglanzrock und All-Star-Gedudel, aber ich mochte den Song schon immer sehr, also schaue ich interessiert rein.
Um meine Nachbarn zu schonen, halte ich die Lautstärke niedrig, der Sound über die kleinen Lautsprecher des Smartphones ist ohnehin grottenschlecht, aber der Song ist es nicht. Ich höre Leuten beim musizieren zu, die ihr Leben lang nichts anderes getan haben, als eben genau das. Musik machen. Leute, die es ernst meinen.
Der Song ist erstaunlich diszipliniert, fast schon zurückhaltend gespielt, die Backings sind auf dem Punkt, das Timing makellos, und Tom Pettys Coolness droht über den Bühnenrand zu triefen und den Damen in der ersten Reihe die Abendkleider zu versauen.
Ich grinse und unterbreche die Wiedergabe, um mir ein Bier zu holen. Das hier verspricht wirklich nett zu werden.
Eine Minute später sitze ich wieder vor meinem Handy und auch mein Grinsen ist wieder da. Ich gebe mir den Song noch einmal von vorne, will ihn komplett sehen. Wieder das Timing, wieder das zurückgenommene, verhaltene Spiel. Aber man spürt, dass das sicher nicht so bleiben wird.
Da baut sich was auf. Nur so zu Erklärung: Wir reden hier über eine Zeit, zu der man sich für den Aufbau eines Songs noch Zeit genommen hat. Die Älteren werden sich erinnern.
Dann, bei 03:28 lächelt Dhani Harrison zu Prince hinüber, ein Followspot fängt den kleinen Mann mit dem roten Hut ein, und er beginnt mit seinem Solo. Ich konnte den Typen eigentlich nie so richtig leiden, weil er einer der größten Poser vor dem Herrn war, aber heute ist mir das egal. Er nimmt seine Nobeltelecaster und beginnt, das Griffbrett zu bearbeiten.
Und dann ist alles anders.
Die Band scheint zu wachsen. Der Schlagzeuger wechselt von „Bumm-Tschak“ auf „Ach, scheiß drauf“, Jeff Lynne gibt mehr Crunch auf seinen Gitarrensound, und Prince macht jetzt in seinen Designerklamotten auf Gitarren-Sexgott und rückt sich in den Mittelpunkt. Jetzt ist er von der Kette gelassen. Und auf einmal machen wir Musik.
So richtig.
Die Blicke fliegen hin und her, lächelnde Musiker, noch immer voll bei der Sache, noch immer sauber, noch immer diszipliniert, aber jetzt haben sie Spaß auf der Arbeit und sind – nun – irgendwie größer. Der Sound geht auf, und eine Hammondorgel liefert selbst im Jahr 2004 noch immer den Sound, den man benötigt, um das zu tun, was auf dieser Bühne gerade passiert.
Jetzt sind wir unterwegs und nehmen Fahrt auf.
Prince lacht und gniedelt sich durch den Rest des Songs, die Band liefert den Teppich, lässt ihn machen, gibt ihm seinen Raum. Rockstar mit rotem Hut und Starallüren?
So FUCKING WHAT? I LOVE IT!
Die Band schiebt den Song mit viel Liebe und Spaß an der Sache über die Rampe. Es ist ein simpler Song, ein wunderbarer Song, und man kann hören, dass die Jungs auf der Bühne das ebenso empfinden. Nach sechs Minuten beendet Prince das Solo und damit auch die Nummer. Dann wirft der Mann mit dem roten Hut seine Gitarre hinter sich. Er weiß, dass dort jemand steht, der die Klampfe fängt. Er geht von der Bühne, und in seinem Gesicht sieht man nicht die Spur von Freude. Kein Lächeln, kein Abschied vom Publikum, nichts. Letzter Ton, Klampfe wegwerfen, Exit Stage left.
In seiner Mine meint man zu lesen: „Nehmt das, ihr Arschgeigen. Scheiße, war ich gut.“
Prince, eben. Ich konnte den Typen ja noch nie so richtig leiden.
Aber was für ein Gig! Was für eine Nummer!
Ich schaue mir das Video gleich noch mal an, dann erneut und schließlich ein drittes Mal. Es ist ein Song, der irgendwie nicht langweilig wird. Ein Song, der halt ein echtes Stück Musik darstellt. Echte Musik, live auf der Bühne erschaffen von echten Musikern. Eine Huldigung an George Harrison, dessen Sohn auf der Bühne steht und mitmacht. Eine gute Coverversion sollte immer eine tiefe Verbeugung vor dem Original sein, und ich denke, George Harrison hätte seinen Spaß gehabt. Mehr geht nicht.
Hat mich geärgert, dass der Song so leise war? Das mein Handy klingt, wie eine Blechdose? Das ich mir die Sache nicht in seiner ganzen Pracht auf dem Fernseher und über die Stereoanlage gegeben habe?
Nicht für eine Sekunde. Ein Song kann mich nach all den Jahren noch immer in seinen Bann ziehen. Es ist der Song. Nicht der Sound. Und die Musiker, die ihn performen.
Wahnsinn.
Ich lösche die Kerze im Windlicht und gehe zurück ins Haus.
Während der Song noch immer in meinem Kopf weiterläuft, fällt mir der prinzliche Stunt mit der nach hinten geworfenen Gitarre wieder ein. Und dann ist es eine Kleinigkeit, die plötzlich mächtig Eindruck auf mich macht: Wie zum Teufel hat er den Gitarrengurt über den Kopf bekommen, ohne sich den Hut vom Schädel zu hauen?
Dieser kleine Moment, in dem er supercool die Klampfe abnimmt und nach hinten wirft, war vermintes Gebiet! Hätte er die Krempe des Hutes erwischt, hätte das nicht nur das gesamte supercoole herumposen im letzten möglichen Moment komplett ins Lächerliche gezogen, dieser Fauxpas wäre ihm wahrscheinlich für den Rest seines Lebens hinterher gelaufen. Mit tausenden in der Halle und wahrscheinlich Millionen vor den Fernsehern kann so was verdammt schnell nach hinten losgehen.
Warum also, geht man ein solches Risiko ein? Muss man doch nicht... Auch ohne den Stunt wäre der Gig von vorne bis hinten gelungen gewesen! Warum also das Coole-Sau-Image riskieren? Und das im allerletzten Moment des Songs, wenn man eigentlich schon die Ziellinie überquert hat, und das Ding nach Hause gerockt ist?
Vielleicht einfach, weil er es konnte.
Weil das Coole-Sau-Image vielleicht doch nicht nur Image war. Der Mann war vielleicht eine ziemlich übertriebene Version der Gattung „Rampensau“, aber er hatte Eier.
Ich ziehe meinen Hut vor Prince, weil er ihn – als es wirklich darauf ankam – anbehalten hat.
Ein Typ namens Andre Thomas kommentierte das Video mit der Aussage: „Ich denke, danach hat die Gitarre von Prince erst mal eine Zigarette gebraucht.“
Guter Mann.
Im Wohnzimmer schalte ich gewohnheitsmäßig das Radio ein und mache mich auf den Weg in die Küche, um mein Glas wegzustellen. Dann drehe ich mich wieder um und schalte das Radio noch vor dem ersten Ton wieder aus.
Ich will mir doch nicht den Abend versauen, oder?
Musik, Leute.
Musik.
B.
PS: Ein alter Freund gab mir den Rat, doch einen Link zur Aufnahme anzuhängen. Auf diese Art würde man vielleicht verstehen, wovon ich hier überhaupt rede... Guter Plan, finde ich. Also bitte:
Happy Täterää, zusammen! Draußen boxte während der letzten zwei Tage der Papst im Kettenhemd und Karneval, Fasching, Fastelovend, you name it, feierte eine triumphale Rückkehr nach Jahren der Corona-Restriktionen. Ich persönlich finde Karneval zum kotzen, aber das heißt ja nicht, dass ich meinen Mitmenschen nicht gönne, mal Spaß zu haben und über die Stränge zu schlagen. Ganz im Ernst. Ist schon okay. Jeder, wie er will. Wie sie will, natürlich auch. Ich will hier nicht gleich zu Beginn gendermäßig in die Tonne treten. Narren und Närrinnen aller Couleur sei also hier gesagt: Schön, wenn Ihr Spaß hattet. Ich hatte keinen. Ich gnartzte. Und zwar hart. Was es bedeutet, zu gnartzen, sei im Folgenden kurz umrissen. Also: Sputum wegwischen, Altglas entsorgen, Aspirin einwerfen, Hefte raus, mitschreiben: Wenn man langsam alt wird, wird einem klar, dass die Dinge nie wieder so sein werden, wie damals im Freibad. Diese auf den ersten Blick recht profane Einsicht gewinnt an Gravität, wenn man sich bewusst macht, dass wir in einer Welt leben, die der Jugend zu gehören scheint. Dies jedoch ist einfach drollig, denn die Jugend ist aufgrund mangelnder Erfahrung die wahrscheinlich letzte Altersgruppe, der man etwas so teures wie einen ganzen Planeten anvertrauen sollte, vor allem dann, wenn man nur den einen Planeten hat. Nun ist es aber so, dass offenbar auch wir, die Älteren also, unfähig sind, den Laden vernünftig zu schmeißen, denn was zum Beispiel das Klima angeht, sind es wir Alten, die den momentanen Missstand zu verantworten haben! Und jetzt kommt der Hammer: Wir stehen klimatechnisch am Rande eines kapitalen SMEV (Spontanes Massives Existenzversagen, thanks Mr. Adams) vor allem aufgrund der Dinge, die wir taten, als wir, die Älteren, noch jünger waren. Sie sehen, es ist knifflig. Ich will hier aber gar nicht über das Klima, die „Letzte Generation“ oder den Untergang der Menschheit referieren, sondern darüber, dass der Prozess des Älter-Werdens in meinem Fall ganz offensichtlich zu einer rasch fortschreitenden Vergnartzung führt (Von Vergnartzung spricht man, wenn einem geistig noch immer extrem jungen Menschen auffällt, dass er immer öfter so spricht, so denkt und empfindet, wie weiland in den Achtzigern sein Onkel Herbert). Nun bin ich noch nicht ganz so weit, dass ich auf ein Sofakissen gestützt im Feinripp am Fenster sitze und Falschparker beim Verfassungsschutz melde, aber Sorgen in diese Richtung mache ich mir schon irgendwie, denn: Die Jugend ist nicht mehr das, was sie mal war. Lassen Sie mich bitte kurz erklären, worum es mir in diesem Blog geht... Mann, ich bin – sorry – angepisst. Und zwar nachhaltig. Es ist ja so, nicht wahr: Auch, wenn früher natürlich nicht alles besser war, gab es ein paar feste Regeln, die auch heute noch durchaus Sinn ergäben, würde man deren Einhaltung gewissen Bevölkerungsschichten nahe legen. Gerne auch nachdrücklich. Eine dieser Regeln lautete zum Beispiel: „Wenn die Bullen kommen, ist die Party vorbei.“ Das funktionierte immer einwandfrei. Glauben Sie mir. Ich kenne mich da aus. Kurze Info an die Jüngeren unter uns: Zu der Zeit, in der ich mich noch gepflegt durch die Wochenenden eskalierte, trug die Polizei allen Ernstes grüne Krawatten auf senfgelben Hemden. Echt, ehrlich. Im Ernst. Dazu gehörten Hosen aus hoch entflammbarem Mischgewebe, deren Farbe entfernt an hellen Milupa-Säuglingsschiss gemahnte. Ich will hier nichts beschönigen. Diese Leute sahen aus, als wären Sie von einem sehbehinderten Verkäufer in einem dunklen Geschäft während eines Live-Mitschnittes von „Verstehen Sie Spaß“ eingekleidet worden. Geschenkt. Zu meiner Zeit sah die Bullerei aus, wie die letzten Ottos, doch wenn dann zu vorgerückter Stunde die Staatsmacht in Form einer derart gewandeten Lachnummer auftauchte, aus dem untermotorisierten VW stieg und sich die weiße Kunstlederkappe aufsetzte, waren trotz des lächerlichen Outfits alle Anwesenden plötzlich ganz furchtbar brav und kooperativ. Natürlich wussten die Cops, dass wir ihnen nur was vormachten, und wir wussten auch, dass sie es wussten, aber das war schon okay, denn im Kern der Sache waren wir uns einig: Die Party endet genau in dem Moment, in dem der Herr Wachtmeister sich am Gürtel die Hose gerade zieht, „N´Abend, Zusammen...“ sagt, und mit hochgezogenen Augenbrauen investigativ und offiziell in die Runde nickt. Heute scheint die Party erst dann richtig los zu gehen. Und das ist ein Problem, dem wir uns annehmen sollten, finde ich. Genau dies ist die Stelle, an der ich losgnartzen muss, weil es einfach aus mir raus will. Ich will und werde heute mal ausdrücklich NICHT darauf achten, nett zu sein und niemanden zu beleidigen, denn die Schwachköpfe, über die ich schreiben will, sind es auch nicht. Kleiner Spoiler: Bringen Sie die Kinder in Sicherheit, und dann können Sie – wenn Sie möchten – weiterlesen. Es werden Schimpfworte fallen. Und ja, sie sind auch so gemeint. Jedes einzelne davon. Wenn es bei Rettungs- und Hilfseinsätzen – entschuldigen Sie – richtig derb aufs Maul gibt, wenn Polizisten, Notärzte, Feuerwehrmänner (Ja, auch FeuerwehrmännINNEN, okay...) angegriffen und verletzt werden, weil intellektuell zu kurz gekommene Vollidioten meinen, gerade ausgerechnet denen in den Arsch treten zu müssen, deren Ankunft sich jeder in Not geratene Mensch wünscht, dann verlassen die Angreifer den Bereich zivilisierten Zusammenseins und dürfen – wenn Sie mich fragen – auch nicht mehr auf zivilisiertes Verhalten hoffen, wenn es um die Ahndung ihrer holzhirnigen, empathielosen, verachtenswerten und schlicht struntzdoofen Handlungen geht. Ich weiß, solche Ausnahme-Vorfälle gab es schon immer, aber die Menge macht das Gift. Und die Menge steigt und steigt. Was ist denn eigentlich mit uns los, verdammt noch mal? Ich sah vor ein paar Tagen einen Bericht über einen Mann, der bei der Feuerwehr arbeitet, hobbymäßig fernöstliche Kampfsportarten betreibt, und der nun Selbstverteidigungskurse für Hilfskräfte anbietet, weil das scheinbar opportun ist, in einer Welt, in der zu Silvester ganze Notarztwagen-Besatzungen in Hinterhalte gelockt und übel rangenommen werden. Selbstverteidigungskurse für Hilfskräfte? Ehrlich? Wer ist denn so unfassbar dumm, dass er ausgerechnet die Menschen angreift, die es kaum erwarten können, dort hin zu gehen, wo alle anderen weglaufen? „Deine Wohnung steht in Flammen? Sekunde! Ich riskiere meinen Hintern, gehe rein, und ich rette was zu retten ist!“ „Du hattest einen wirklich sehr unappetitlichen Autounfall auf der A3 und sitzt vor Schmerzen schreiend eingeklemmt im Wrack deines Wagens? Kein Thema! Ich bin schon unterwegs!“ „Du wirst bedroht, zusammengeschlagen oder ausgeraubt? Ich kümmere mich darum. Keine Angst! Du bist nicht alleine! Ich sehe mal, was ich tun kann!“ Helden des Alltags? Helden des Alltags. Nun, für die Menschen, die in eine schlimme Situation geraten und auf professionelle Helfer angewiesen sind, trifft diese (wenn auch etwas blumige) Bezeichnung für diese Menschen zu. Ich weiß das. Ich weiß das sogar genau. Wir reden über Menschen, die helfen, wo es nötig ist, Menschen, die ihre eigene Angst und ihren Ekel bekämpfen, damit sie da hin gehen können, wo es weh tut, Menschen, die unentgeltlich Dinge tun, bei denen sie sich unter Umständen eine langwierige Behandlung bei der örtlichen Traumatherapeutin einhandeln können, Menschen, die einfach nur aus ihrer Überzeugung heraus die Dinge tun, die jeder zivilisierte Mensch gerne tun würde, sich aber nicht traut oder nicht zutraut, den Anforderungen eines solchen Jobs gerecht zu werden. Alles, was wir tun müssen, um diese außergewöhnlichen Menschen in ihrem Tun zu bestärken, ist Ihnen mit Respekt und Dankbarkeit gegenüber zu treten. Sie fordern diese Dinge nicht ein, das würden sie niemals tun, also müssen wir ungefragt liefern. Nach einem Starkregenereignis hat unsere lokale freiwillige Feuerwehr unseren Keller ausgepumpt. Ich weiß nicht, ob Sie das nachempfinden können, aber wenn Ihr Zuhause absäuft, dann ist es ein verdammt gutes Gefühl, wenn da plötzlich wildfremde Menschen mit beeindruckendem Equipment auftauchen, professionell die Kontrolle übernehmen und anfangen, der Situation ein zweites Arschloch aufzureißen. Diese Menschen sind wertvoll, verdammt! Sie gehen genau da hin, wo wir alle fortlaufen! Polizei, Feuerwehr, Notärzte, THW, egal. Die freiwillige Feuerwehr unseres Ortes hatte auf dem letzten Weihnachtsmarkt einen Glühweinstand, und ich kaufte an diesem Abend den teuersten Glühwein meines Lebens. Ich bestellte, bekam meine zwei Tassen Glühwein, und zahlte... nun, viel zu viel. Der ehrenamtliche freiwillige Feuerwehrmann hinter dem Tresen schaute mich kurz mit zusammengezogenen Augenbrauen an, kramte leicht genervt das Rückgeld zusammen, und dann erklärte ich ihm, dass er den Rest behalten solle. „Nein! Das ist ja viel zu viel“, lachte er. Scheinbar war er der Meinung, ich hätte schon mehr als genug Glühwein gehabt und hielt mir mit Nachdruck das Wechselgeld entgegen. „Letztes Jahr war auch viel zu viel Wasser in meinem Keller. Und Ihr wart da echt super. Vielen Dank, noch mal. Das passt schon. Nehmt´s als Spende, oder so“, sagte ich. Es war einfach eine spontane Handlung. Nichts, was ich geplant hätte. Ich habe ehrlich gesagt erst gesehen, dass der Glühweinstand von der örtlichen Feuerwehr unterhalten wurde, als ich schon längst in der Schlange stand. Der Feuerwehrtyp bedankte sich überschwänglich, sagte, er fände das total super und erklärte allen Ernstes, so etwas sei seiner Feuerwache – soweit er wusste – noch nie passiert. Schlimm, oder? Ich meine... Ist das nicht schlimm? Ich habe an diesem Abend keine Riesensumme über den Tisch geschoben, es war eher die Geste als der Betrag, worum die es mir ging, aber die Reaktion war schon irgendwie bezeichnend für die Art und Weise, in der wir mit denen umgehen, die uns im Krisenfall mit Gerät, Einsatz und Engagement zur Seite stehen. Wir sollten uns was schämen. Wirklich. Und was die Schwachköpfe angeht, die Rettungskräfte angreifen: Ich weiß, dass es falsch ist, wenn man den Vollidioten, die zu blöd sind, eine Rettungsgasse zu bilden, einen Unfall an den Hals wünscht, bei dem die Rettungskräfte dann ebenfalls nicht an den Unfallort kommen. Ich weiß auch, dass es der Sache nicht hilft, wenn man solche Zivilisationsbremsen beschimpft, anstatt sie ruhig und gefasst darüber in Kenntnis zu setzen, dass sie scheiße sind, und sie mit ihrer Blödheit dem kompletten Rest der halbwegs zivilisierten Gesellschaft auf den Sack gehen. Die Randerscheinungen, die bedauernswerten Idioten, die Helfer beim Helfen behindern und Rettern das Retten erschweren, nur um sich selbst zu beweisen, dass sie entgegen ihrer geheimen Befürchtungen doch nicht schwul sind, sondern – im Gegenteil – ganz tolle Männer, die echt maskulin und im Besitz wahnsinnig großer Testikel sind. In meinen Augen sind das die peinlichen Ausfälle einer ansonsten ganz gut funktionierenden Evolution. Sorry. Nein, nicht sorry. Es tut mir eben nicht leid. Ich bin schon wieder nett, und ich will nicht nett sein. Nicht, bei diesem Thema. Menschen, die Menschen angreifen, die anderen Menschen helfen, sind Vollidioten. Punkt. Schwachköpfe. Dumm. Ich würde sagen, dass diese Menschen in der Entwicklung der Menschheit hunderte von Jahren hinterherhinken, aber das würden sie wahrscheinlich auch nicht kapieren, weil sie eben dumm sind. Einfach nur dumm. Vielleicht können sie nichts dafür. Aber das macht sie nicht besser. Willst du mir Deine Doofheit beweisen? Dann greife jemanden an, der im Dienste der Gesellschaft alte Menschen pflegt. Feuer bekämpft. Straftaten verhindert. Unfallopfern Erste Hilfe leistet. In Krisengebieten Zelte, Hilfsgüter und Medikamente liefert. Mensch ist. Dies ist meine Meinung, und wenn Ihnen meine Meinung nicht gefällt, werden Sie vielleicht feststellen, dass Sie den falschen Blog lesen. Vielleicht, weil Sie auf der anderen Seite des Zaunes stehen, der die Idioten von mir fern hält. Aber okay, ich weiß, dass bloßes Anblaffen nichts bringt. Vielleicht sollten wir also von einer anderen Seite an das Problem herangehen. Vielleicht sollten wir – als Gesellschaft – geschlossen gegen die Zurschaustellung menschlicher Verblödung vorgehen, indem wir zivilcouragiert und lautstark mit dem Finger auf all die zeigen, die uns schaden, damit diese Dummköpfe merken, dass der Rest der Welt sie für Idioten hält. Vielleicht kapieren sie dann zumindest, dass sie ziemlich alleine da stehen. Das wäre ein Anfang. Auch wenn sie blöd sind, wie eine Tüte Mücken, das wäre vielleicht ein Anfang. Zumindest für die, bei denen noch ein paar Gramm Resthirn zu vermuten ist. Aber, um positiv zu bleiben, schlage ich vor, die Deppen mit ihren Eselsmützen am Kindertisch sitzen zu lassen, und – unter uns Erwachsenen – all jene zu feiern, die für uns jeden Tag im Früh-, Spät-, und Nachtdienst in den Startlöchern stehen, um uns überall da zu helfen, wo die Kacke dick wird. Deren Bereitschaft und Arbeit sollten wir gebührend abfeiern. Öffentlich. Lautstark. Mit Applaus und Begeisterung. Humba, Humba, Täterää, Alaaf, Helau und all das andere Gedöns. Feiern sie schön. Und denken Sie mal an all die, die nicht feiern können, weil Sie heute – am Veilchendienstag 2023 – Bereitschaftsdienst haben, um Sie, Ihre Töchter und Söhne oder auch Freunde und Nachbarn schnell genug ins Krankenhaus zu bringen, wenn die Party vielleicht mal zu hart wurde. Vielleicht wird es irgendwann wieder ein bisschen so, wie damals im Freibad. Früher, als der Bademeister mit dem DLRG-Schein als Rettungsschwimmer unser Held war, und wir alle irgendwann mal Feuerwehrmänner/*innen oder Polizisten/*innen werden wollten. Weil es halt unsere Helden waren. Und noch immer sein sollten. Nix für ungut. B.
Während Sie noch überlegen, ob Sie diesen Blog lesen oder Ihre kostbare Zeit vielleicht doch lieber darauf verwenden möchten, auf dem Speicher nach alten Yps-Heften zu suchen, hier eine desillusionierende Tatsache, die ich gerne mit Ihnen teilen würde: Ihre Yps-Hefte bringen Ihnen bei Ebay NICHT die erhoffte Altersvorsorge ein. Nein, auch dann nicht, wenn Sie unter der Kiste mit dem Weihnachtsschmuck die Ausgabe mit den „Urzeit-Krebsen“ entdeckt haben. Fragen Sie nicht. Ja, ich habe ewig nichts geschrieben weil ich als international unbekannter Autor ohnehin nur für mich selbst schreibe, und Sie nur die fiktive Ausgeburt meiner völlig überreizten Phantasie sind. Sie (mein Leser, meine Leserin oder mein lesender Mensch anderer sexual-psychologischer Kategorisierung) existieren nicht, aber das nehme ich Ihnen nicht übel. Sie können ja nichts dafür, dass es Sie nicht gibt, und Sie haben noch nicht mal Eltern, die Sie dafür verantwortlich machen könnten, was mich irgendwie traurig für Sie macht, aber gleichzeitig auch froh, dass Sie nicht existieren, denn dann leiden Sie zumindest nicht darunter, keine Eltern zu haben, auch wenn nicht existente Eltern für nicht existente Leser wahrscheinlich ebenso wichtig sind, wie es meine existenten Eltern für mich sind, was mir nun doch wieder irgendwie für Sie leid tut. Sie merken schon: Ich bin verwirrt. Seien Sie froh, dass es Sie nicht gibt, denn tatsächlich zu existieren kann ganz schön komplex sein, vor allem, wenn man Nachrichtensender wie „Welt“ schaut. Es ist ja so, nicht wahr: Ich wurde im August 1966 als sommersprossig-rheinländischer Durchschittspanz geboren, und als solcher war ich im sogenannten „Deutschen Herbst“ 1977, in dem die RAF sich quer durch die Abendnachrichten ballerte, gerade mal elf Jahre alt. Trotzdem erinnere ich mich daran, dass die Namen Raspe, Baader, Ensslin oder Meinhof in aller Munde waren. Auch die Ziele der Anschläge, Schleyer, Buback, Ponto... Alles „Household-Names“ der späten 70er. Die Älteren werden sich erinnern. Als schließlich der entführte Lufthansa-Jet „Landshut“ in Somalia durch ein Sondereinsatzkommando des BGS gestürmt und die in Stammheim inhaftierten RAF-Terroristen tot in ihren Zellen aufgefunden wurden, gab es zwei Narrative: Erstens der offizielle und in den Nachrichten präsentierte Bericht über den feigen kollektiven Selbstmord der RAFler, und zweitens die Version, die unter den linken Bazillen und langhaarigen Bombenlegern an den Universitäten hinter vorgehaltener Hand getuschelt wurde, und in der die Staatsorgane nicht ganz so menschenfreundlich wegkamen. Wie dem auch sei, die RAF war kriminell und böse, die Jungs von der GSG 9 waren Helden, die braven Menschen in Deutschland konnten wieder ruhig schlafen und alles war wieder gut. Und jetzt – fast fünfundvierzig Jahre nach all den Attentaten und Morden – höre ich plötzlich im Nachrichtensender „Welt“, dass die RAF in heldenhafter Manier das KZ in Auschwitz befreit hat! Ich meine: Hallo? Wieso sagt einem das denn keiner, verdammt? In der Schule, in den Nachrichten, nirgendwo wurde das jemals erwähnt! Ich war bislang immer der Meinung, dass es sich bei den Terrortypen und -typ/*Innen der RAF um Durchgeknallte mit einer kapitalen Beule im Helm handeln musste, und jetzt erzählt mir die ansonsten bestimmt sehr nette Frau Lehfeldt im Fernsehen, dass „Heute vor 78 Jahren das Vernichtungslager Auschwitz durch die Rote Armee Fraktion befreit“ wurde. Ja, okay. Das war witzig. Realsatire? Vielleicht. Peinlich? Keine Ahnung. Ja, vielleicht auch das. Shit happens? Absolut. Und jetzt? Ich meine... Na, und? Ich bin kein Freund des allgegenwärtigen Online-Bashing, bei dem sich empathisch Zu-Kurz-Gekommene darüber lustig machen, wenn andere Menschen publikumswirksam einen schwachen Moment haben. Für mich ist der Volkssport des Bashing noch immer ein Gradmesser für die grassierende Holzhirnigkeit der Online-Community und ein Beweis für den Verfall sämtlicher Werte (ja, ich bin alt. Verklagen Sie mich doch). Und auch wenn ich sehr wohl der Meinung bin, dass man als Moderatorin eines renommierten Senders den Unterschied zwischen der sogenannten Roten Armee und der Rote Armee Fraktion kennen sollte, bin ich doch der Meinung, dass der eigentliche Klopper nicht in dem Versprecher von Frau Lehfeldt an sich liegt, sondern eher in der Tatsache, dass der Dame im Scheinwerferlicht ihr Fehler augenscheinlich gar nicht aufgefallen ist. Ihrer gleich daneben stehenden Kollegin übrigens auch nicht. Egal. Ich verstehe das schon. Man kriegt halt vieles mit, manchmal rutschen die Dinge einfach ineinander, es ist alles furchtbar komplex und dann stimmt irgendwann gar nichts mehr und man quasselt vor laufender Kamera völlig sinnfreien Klabuster vor sich hin, so knifflig ist das alles. Schon gut. Ist ja auch viel Kram, der jeden Tag auf einen einprasselt, und wir sind alle nur Menschen. Oder? Wer öffentlich einen Bock schießt, der weiß, dass er gerade im Moment der Horst der Nation ist. Das tut weh und ist Strafe genug, sollte man meinen. Niemand steht gerne als der Depp vom Dienst da, niemand freut sich darüber, mal so richtig dämlich dazustehen, schon gar nicht vor der Kamera, niemand präsentiert sich gerne öffentlich und gut ausgeleuchtet in HD sprichwörtlich mit heruntergelassenen Hosen und einem Popel an der Backe. Aber weil man ja mit der Zeit gehen muss, folgt nun mein ganz persönlicher Versuch, mittels schaler Schoten auf Kosten von Frau Lehfeldt ein paar Lacher zu ziehen. Scheinbar macht man das ja heute so, und ich wäre auch gerne cool und voll der Basher-Troll-Hater-Supertyp und so... Also... Jüngere Deutsche Geschichte nach Frau Lehfeldt: Nach dem Absturz des Zeppelins „Titanic“ in Mogadishu hat Bob Geldof unter dem Motto „Arsch huh, Zäng usenander“ ein Benefiz-Konzert in London veranstaltet, um Geld für die Aktion Mensch zu sammeln. Der damalige Vorsitzende der Aktion Mensch, Rainer Calmund, machte zum Dank den weltberühmten Kniefall im Warschauer Ghetto in Budapest und gab sein Ehrenwort, nie zu verraten, woher das Geld stamme, bevor er wenig später in einer Badewanne im Genfer Hotel Beau Rivage der Ausreise syrischer Flüchtlinge zustimmte, was schließlich die Berliner Mauer zu Fall brachte und später den deutschen Herbst einläutete. Nach der Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Oettker durch die Rote Armee befreite die neu formierte GSG 8 schließlich Nelson Mandela aus der Prager Botschaft in Kerpen, der dadurch in letzter Minute der Strafverfolgung und Inhaftierung in Guantanamo entgehen konnte, und am Tag der Deutschen Einheit mit dem Papst eine Herrenboutique in Wuppertal eröffnete (Danke, Herr von Bülow). Boah, is die doof, eh. Leute, macht Euch locker. Ja, das mit Frau Lehfeldt und der RAF war witzig. Und das war es dann auch schon. Entspannt Euch. Menschen machen Fehler, labern Blödsinn, liegen falsch. Für Beispiele hierfür dafür lesen Sie halt am besten einfach mal meinen Blog. Auch, wenn Sie nicht existieren. Er ist voll von halbgarem Blödsinn, aber vielleicht kann man ab und zu zumindest über meine Dämlichkeit kichern. Ist doch schön! Ich meine, da hat jemand Bockmist erzählt, hat sich vertan, okay, aber dieser Versprecher ist längst nicht so schlimm, wie viele andere Dinge, die ich in den Nachrichten höre, und von denen ich mir wünschte, es würde sich nur um Versprecher handeln. Die Fähigkeit, in den „sozialen“ Medien eben nicht ständig auf weiche Ziele einzuprügeln, ist ein Zeichen gehobener Charakterstärke. Und was Sie angeht, Frau Lehfeldt: Wenn Sie sich jetzt im Gegenzug öffentlich über die Knallköppe aufregen, die der Meinung sind, sie müssten in Ihre Richtung so richtig einen fahren lassen, dann füttern Sie damit nur die Idioten, die sich am meisten darüber ärgern würden, wenn man sie einfach nicht beachtet. Noch nicht mal ignorieren, die Deppen. Das wäre ein kluger Zug. Das gilt übrigens auch für alle Kreativen, Schaffenden, Machenden, Präsentierenden und sonstwie aktiven Menschen, die immerhin was tun, anstatt sich nur billig über die kleinen und größeren Peinlichkeiten aufzuregen, die Menschen widerfahren, die immerhin etwas leisten. Nur wer nichts macht, macht auch keine Fehler. So einfach ist das. Sich über die Leistungen anderer Menschen lustig zu machen, wenn denen mal was Doofes passiert und sich dabei auch noch cool vorzukommen, ist wahrscheinlich der größte Indikator für persönliche Jämmerlichkeit, den man sich nur vorstellen kann. Und dankenswerterweise erbringen all die Hater und die Basher diesen Nachweis völliger Karlheinzhaftigkeit tagtäglich und mit schöner Regelmäßigkeit selbst. Immer daran denken: Drüber zu stehen macht Spaß. Das ist nicht arrogant, nein, das hat Stil. Wie ein alter Freund vor Jahren einmal sagte: Was stört es den Mond, wenn ihn ein Wolf anheult? Wenn man schon gezwungen ist, täglich an seinem ersten Magengeschwür zu basteln, nur weil man in der Öffentlichkeit steht, und sich diese Öffentlichkeit offenbar zu einem großen Teil aus empathielosen Vollidioten rekrutiert, die in der analen Phase nur Holzspielzeug bekommen haben (Danke, Herr Rether), dann sollte man das Magengeschwür doch lieber den wenigen Dingen verdanken, die es zumindest wert sind, oder nicht? Aber ein ganz klein wenig beömmelt habe ich mich schon, Frau Lehfeldt. Das müssen Sie mir lassen. Ich meine... das war schon irgendwie witzig. Aber ich verrate Ihnen jetzt mal was aus meiner ganz privaten (und immer voller werdenden) Kiste persönlicher Peinlichkeiten: Ich habe in jüngeren Tagen als übermotivierter Sänger einer untermotivierten Rockband auf der Bühne Dinge getan, auf die ich... Egal. Sagen wir einfach nur, dass sich Ihre Moderation gegen meine frühen Heldentaten ausmacht, wie der heißeste Anwärter auf den neugeschaffenen „Preis für ultra-professionelle Sendungsmoderation“ (kurz: PUPS). Ich war schlimmer. Glauben Sie mir. Viel schlimmer. Einziger Unterschied: Zu meiner Zeit der peinlichen öffentlichen Voll-Aussetzer gab es halt das verdammte Internet und all die hirnvernebelten selbstgerechten Schwachköpfe nicht, die die folgende einfache Regel bis heute noch nicht kennen: „Wenn du nichts Nettes sagen kannst, sag einfach gar nichts.“ Okay. Die Schwachköpfe gab es schon. Aber das Internet als Plattform derer, die sich hübsch versteckt hinter Online-Alias-Phantasienamen über Andere lustig machen, nur um sich selbst in dem nasskalt-nebelschwadenverhangenen, morastigen Tal der Enttäuschten, in dem sie scheinbar ihr Dasein fristen, ein wenig cooler zu fühlen, das gab es eben noch nicht. Ich war damals Rockstar, nur eben, dass das außer mir keiner wusste. Drittes Semester Fremdschämen. Mehr will ich dazu nicht sagen. Nur so viel: Wären Aufnahmen mancher meiner Konzerte auf YouTube gelandet, würde ich heute wahrscheinlich bei den „Fünfzig lustigsten Rock-Idioten“ bei Oliver Geissen in den Top Five landen. Schwein gehabt. Also: an all die jungen Menschen von heute, die nicht das Glück hatten, ohne Internet aufzuwachsen: Seid der Mond und nicht der Wolf. Das ist viel zu leicht. Wolf sein, das ist was für Leute, die nur Wolf können, weil es rein kognitiv für mehr als „scheiße finden“ einfach nicht reicht. Aber Ihr seid besser als das. Oder? B.
Lesen Sie das bloß nicht! Dies ist der Blog, den ich nicht schreiben werde. Nicht schreiben werde, niemals schreiben wollte, nicht ins Netz stellen, nicht mal darüber reden werde ich, denn ich habe lange darüber nachgedacht, und ich bin der Meinung, ich sollte es lassen. Also respektieren Sie gefälligst mein Verlangen nach ein wenig Privatsphäre und gehen Sie weg. Sie werden mich ohnehin nicht verstehen und wenn doch, dann werden Sie mich falsch verstehen, denn es geht um etwas, das ich liebe und deshalb jetzt hassen muss. Das bedeutet, ich muss darüber schreiben, um klar zu machen, warum ich nicht darüber schreiben möchte und es veröffentlichen, damit Sie verstehen können, warum ich es nicht veröffentlichen kann und will. Sie sehen, es ist ein wenig komplex. Ich habe lange nichts mehr von mir hören lassen und das hatte auch seinen Grund. Als weltweit unbekannter Autor hat man nur wenige Positivpunkte auf seiner Seite, aber immerhin gehört zu diesen Punkten auch die Tatsache, dass es niemandem auffällt, wenn man mal die Schnauze hält und sich eine Weile als weltweit unbekannter Musiker um seine Musik kümmert, anstatt ständig schlaue Traktate ins Datennetz zu pumpen. Ich mag Musik, ich mag meine ganz eigene, persönlich hergestellte Musik, und ich mag alles, was ein wenig „proggy“ ist, und damit sind wir auch schon bei dem Punkt, über den ich an dieser Stelle kein Wort verlieren werde: Genesis. Ich bin ein Fan seit dem ich „Prog-Rock“ sagen kann. Ich werde hier nicht erwähnen, dass es sich bei meiner Liebe zu dieser Band lediglich um meine Liebe zu den „alten“ Genesis handelt, denn das geht Sie nichts an und versteht sich ja auch von selbst. Sollten Sie der Meinung sein, „Invisible Touch“ sei ein Genesis-Song, dann werden Sie feststellen, dass Sie den falschen Blog lesen, was Sie nicht tun werden, weil ich nicht über dieses Thema schreiben werde, also vergessen Sie das einfach. Ich bin verwirrt. Entschuldigen Sie. Wie man eine Abschiedstournee starten kann, nachdem man seit vierzehn Jahren weg vom Fenster war, verstehe ich nicht. Es gibt Menschen, die heute mit Mopeds durch die Innenstädte knattern, die zum Zeitpunkt der letzten Genesis-LP mit neuem Material noch gar nicht geboren waren (also die Menschen, nicht die Mopeds). Der letzte neue Genesis-Song erschien im Jahr 1997, als selbst Phil Collins keinen Bock mehr auf Genesis hatte, und der über Jahrzehnte mehr oder minder geglückte Versuch, Peter Gabriel durch Phil Collins zu ersetzen, durch den bereits nach einer Platte und einer abgebrochenen Tournee gescheiterten Versuch ersetzt wurde, Phil Collins durch Ray Wilson zu ersetzen. Helmut Kohl war damals Bundeskanzler, in Gorleben wurde gegen Castor-Transporte protestiert, Prinzessin Diana starb in einem Pariser Autotunnel, Mutter Theresa starb ebenfalls, auf der Raumstation MIR brach ein Feuer aus, und Tic Tac Toe landeten einen Hit, wahrscheinlich weil Gott und die Welt mit Mutter Theresa, Lady Diana und dem Feuer auf der MIR beschäftigt war, und deshalb nicht richtig zuhörte. Lange her. Dann herrschte Stille bis ins Jahr 2007. Die Nachricht war der Wahnsinn! Genesis hauen ein Konzert raus! Wer? Genesis? Ach, ja! Genesis! Das Konzert – ich kann hier nur meinen persönlichen Eindruck schildern – war genau das, was passieren muss, wenn man alten Herren dabei zusieht, wie sie routiniert und vielleicht ein wenig langsamer als früher ihre größten Hits runter dudeln. Große Monitore, viel Licht, wenig echter Funke, keine Spielfreude, keine Gänsehaut. Als es vorbei war, fühlte ich mich betrogen. Ich hatte der Band (selbst als sich die Speerspitze progressiver Rockmusik längst zum Wohlfühl-Konsens-Popkonzern umformatiert hatte) die Treue gehalten, ungeachtet der hochgezogenen Augenbrauen all derer, die Genesis als Phil-Collins Begleitband bezeichneten, und mich (MICH!!!) für einen abwaschbaren und seelenlosen Popkonsumenten ohne jede Ahnung von Musik hielten, wenn ich von Genesis sprach. Nachdem das selbstbetitelte Album von 1983 erschien, fiel es manchmal schwer, ein Genesis-Fan zu sein. Es tat gelegentlich sogar richtig weh, aber wenn ich dann mal wieder „Supper's Ready“, die 1981er Aufnahme von „One for the vine“ in Sheffield, „Stagnation“, die „Lamb“ oder selbst „Blood on the Rooftops“ hörte, war alles wieder gut. Wirklich alles. Forgive and forget. Ihr könnt ja auch anders. Dann kam die Zeit, in der Genesis es sich offenbar vornahm, mir ganz persönlich in den Hintern zu treten und mich endgültig los zu werden. Live wurde Neues abgefeiert, Neues, das seinerseits auch schon zwanzig Jahre alt war (Invisible Touch, Land of Confusion, I can't Dance...), und die alten Fans, die die Band dort hin gebracht hatten, wo sie jetzt war, nämlich in einer Welt mit ovalen Swimmingpools, nackten Weibern und gekühltem Mangosaft, wurden pflichtbewusst und leicht peinlich berührt mit einem „Old-Medley“ abgefüttert, was ja wohl schon mal die Höhe ist, oder wie sehe ich das? Dann wieder Stille. Ganze vierzehn Jahre lang. Ich sage es einfach noch mal, okay? Vierzehn Jahre. Wahrscheinlich war man zuhause, Geld zählen, oder weiß der Geier, was. Es geht mich ja auch nichts an, ich liebe die Musik, nicht die Musiker. Die Leute sind mir persönlich so unbekannt, wie ich ihnen, also bitte, jeder soll machen, was er will, aber nach vierzehn Jahren Stille, vierundzwanzig Jahre nach dem letzten neuen Song (aufgenommen in einer anderen Besetzung) eine Abschiedstournee zu starten, erinnert mich stark an einen Mittfünfziger, der nach dreißig Jahren Funkstille und ohne Ankündigung vor der Tür steht und auf meiner Couch pennen will, weil wir ja schließlich mal zusammen in einer Schülerband gespielt haben. Irgendwie übergriffig. Und heute? Phil hat seinen ebenfalls schlagzeugspielenden Sohn mitgebracht. Und zwei Leute, die die höheren Töne für ihn singen, weil die Gesundheit nicht mehr mitspielt, und er selbst es nicht mehr kann. Chester Thompson, der seit dreißig Jahren bei Genesis den Job als Tourdrummer innehatte, wurde gar nicht erst gefragt, ob er dabei sein möchte, und ich fühle mich durch diese Tatsache persönlich angemacht. Ich mag Chester Thompson. Nick Collins spielt gut, klar, er kann das und warum auch nicht, aber Chester ist für mich der Mann an den Drums. Er spielte mit Zappa, Clapton, Weather Report, Santana und einem ganzen Register weiterer hochklassiger Musiker. Hochklassiger Acts, wie eben auch Genesis mal einer war. Und nun spricht die Presse von Nicholas Collins, dem Genesis-Drummer, der rührenden Vater-Sohn Geschichte und von Phil Collins und seiner stark angeschlagenen Gesundheit. Phil sitzt während der Kozerte auf einem Stuhl! Phil kann nicht mehr richtig singen! Phil wurde vor einem Hotel in einem Rollstuhl sitzend abgelichtet! Kann da auch mal jemand ein einziges Wort über die Musik verlieren? Nein? Warum nur? Und wieder macht die Band es mir schwer, ein Fan zu sein. Ich weiß, für den Hype um Nebensächlichkeiten ist nicht die Band, sondern die Presse verantwortlich. Aber die Band musste wissen, was passieren würde, und es hat sie nicht davon abgehalten, mit dieser Tournee, die niemand braucht, an den Sockel ihres eigenen Denkmals zu pinkeln. Ein alter Freund, ebenfalls ein Fan, versuchte, mir eine andere Perspektive zu eröffnen. Er meinte, es sei vielleicht gar nicht so sehr eine Tour, als viel mehr die Gelegenheit, seinen alten Helden auf Wiedersehen zu sagen, und ihnen sozusagen die Ehre eines letzten Konzertbesuches zu erweisen. Vielleicht ginge es gar nicht so sehr um die Musik, als viel mehr um die Institution, die sich von ihren Fans verabschiedet... Ich verstehe den Ansatz. Ehrenhaft. Irgendwie schwiemelig, aber auch nicht ganz falsch. Warum sollten sie es sonst tun? Am Geld wird es nicht liegen. Aber wenn mich jemand dazu einlädt, dabei zuzuschauen, wie die alten Zirkuspferde von Genesis noch einmal die alten Songs spielen (die „neuen“ alten Songs, wohlgemerkt), Zeuge zu werden, wie diese ehemals großartige Band etwas aufführen möchte, das sie nicht mehr aufführen kann, mir selbst damit weh zu tun, ein letztes Mal dabei zu sein, wie Genesis es mir schwer macht, ein Fan zu bleiben, schwerer denn je, dann möchte ich dafür nicht auch noch zweihundert Pfund Eintritt zahlen müssen. Ich wünsche Phil Collins von ganzem Herzen Gesundheit und ein langes Leben. Ich wünsche Tony Banks und Michael Rutherford weiterhin Erfolg mit ihren Projekten und ich wünsche Nicholas Collins, dass er es schaffen wird, ein anerkannter Drummer mit seinen eigenen Projekten zu werden, und dass die Entscheidung, bei Papa in der Band zu spielen, nicht dazu führt, dass er bereits als junger Mann in der Branche einen miesen Ruf bekommt. Da könnte er sich ein paar gute Tipps von Jason Bonham holen, der mit der gleichen Thematik cleverer umgegangen ist. Ich wünsche Chester Thompson alles Gute und ich wünsche Daryl Stuermer viel Erfolg auf all seinen Wegen. Er ist ein unglaublicher Gitarrist. Und ich bin froh, dass ich diesen Blog nicht geschrieben habe, denn ich fürchte fast, Genesis, die Band die es mir seit Jahrzehnten so schwer macht, ein Fan zu sein, könnte am Ende tatsächlich herausgefunden haben, wie sie es trotz all meiner Gegenwehr schaffen könnte, ihr Ziel zu erreichen. Danke, dass Sie diesen Blog nicht gelesen haben. Ich habe ihn über Jahre hinweg so sehr nicht schreiben wollen, dass es gut tat, ihn jetzt nicht veröffentlichen zu müssen. B.
Ein guter Freund brachte mich heute auf den folgenden Gedanken: Wenn man einen Menschen kennenlernen will, geht das nicht, ohne einen Besuch auf seinem Klo. Wir alle kennen das: Man lernt einen Menschen kennen, sei es nun beruflich oder privat, und irgendwie funkt es. Man versteht sich auf Anhieb gut, man scheint über einen ähnlichen Humor zu verfügen und mag die selben Filme. Vielleicht stößt man im Laufe der Zeit sogar über Schnittmengen in den jeweiligen Lebensläufen. Man hat vielleicht die selbe Schule besucht, hat gemeinsame Bekannte oder man hat – ohne es zu wissen – auf dem selben Konzert nur wenige Reihen voneinander entfernt gesessen. Lustig, wie das Leben so spielt. Man trifft sich ein paar mal, man verbringt eine nette Zeit miteinander, ein paar Wochen später geht man vielleicht gemeinsam Essen oder man lädt sich gegenseitig zum Essen im jeweiligen Zuhause ein. Dies ist der Moment der Wahrheit. Hier entscheidet sich, ob die frisch geknüpfte Verbindung eine Chance auf eine Zukunft hat. Der Moment in dem sich entscheidet, ob aus der Bekanntschaft eine Freundschaft wird, oder ob die Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität so hoch ist, dass man enttäuscht und leicht desillusioniert den Abstand zueinander langsam aber stetig wieder vergrößert. Man betritt das Territorium des Anderen. Sein Zuhause. Seinen ganz persönlichen Bereich. Hier lernt man mehr über die Person, die diese heiligen Hallen bewohnt, als an jedem anderen Ort der Welt. Wie wohnt dieser Mensch? Gemütliche Küche mit großem Esstisch für lange Abende bei Kerzenschein unter Freunden oder Hochglanzlack-Küchenlandschaft ohne Fingerabdrücke mit zweitausend Euro teurem Kaffeevollautomaten? Kuscheliger Teppich oder praktischer wenn auch kalter Fliesenboden? Vinyl oder CDs? Oder gibt es gar keine Tonträger, sondern lediglich eine externe Festplatte mit einer 400.000 Songs umfassenden unpersönlichen Playlist? Man schaut sich um, man gewinnt Eindrücke, man ist überrascht oder findet seine Einschätzung bestätigt... Ich bitte Sie! Das ist alles Quatsch! Nichts als Mummenschanz und Schaulaufen. Ich sage Ihnen jetzt alles, was Sie wissen müssen: Wenn Sie etwas über einen anderen Menschen erfahren wollen, benutzen Sie sein Klo und schauen Sie sich an, was auf dem kleinen Regal neben der Toilette liegt. Dort, neben der Ersatzrolle Klopapier, finden Sie die Wahrheit über ihren Gastgeber. Studieren Sie seine Klolektüre. Es ist egal, wie viel Wert der Mensch, der gerade im durchgestylten Wohnzimmer auf Ihre Rückkehr wartet, auf sein äußeres Erscheinungsbild legt. Es ist auch völlig gleichgültig, ob er oder sie mit Möbeln protzt oder sich beim Sperrmüll mit dem Nötigsten eingedeckt zu haben scheint. Denken Sie immer daran: Jeder – wirklich jeder – vergisst beim präparieren der Wohnung für den abendlichen Besuch, dass es die Klolektüre ist, die den Menschen in seinem Kern offenbart. Nirgendwo ist der Mensch so ehrlich und ungeschützt, wie in der keramischen Abteilung seiner Wohnung. Hier ist er wirklich er selbst. Und hier liest er das, was er wirklich liebt. Vergessen Sie den Bücherschrank im Wohnzimmer, in dem die in Leinen gebundene Goethe-Gesamtausgabe neben dem „Universum in der Nussschale“ von Stephen Hawking ihr ungelesenes Dasein fristet. Vergessen Sie auch das bunt bebilderte „Vegane Rezepte des vietnamesischen Streetfood“, das – wie zufällig dort liegengelassen – auf der Anrichte in der Designerküche liegt und Ihnen den hippen Livestyle des Besitzers beweisen soll. Und bitte: Lassen Sie sich in drei Teufels Namen nicht von unterarmdicken Coffee-Table-Books über Architektur oder Joseph Beuys blenden. Kürzen Sie den ganzen Quatsch ab. Mit solchem Firlefanz sollten Sie keine Zeit vergeuden. Verlassen Sie den für die Öffentlichkeit bestimmten „So-möchte-ich-gerne-rüberkommen“ Bereich der Wohnung, fragen Sie einfach, ob Sie sich irgendwo die Hände waschen dürfen, gehen Sie ins Badezimmer und schauen Sie sich um. Was sehen Sie? Alte Musikzeitschriften? Disney´s Lustige Taschenbücher von 1987? U-Comix oder Asterix bei den Briten? Alles gute Zeichen. Total zerlesene, eselsohrige Taschenbücher mit Kurzgeschichten von Woody Allen? Ironisch-satirische Betrachtungen Marke Ephraim Kishon? Geben Sie Ihrem Gastgeber eine Chance. Tolkien´s „Herr der Ringe“ inklusive Silmarrillion und Siegmund Freuds Werkausgabe in zwei Bänden? Solche Bücher liest kein Mensch auf dem Klo. Ihr Gastgeber hat sie durchschaut und will für Sie sogar bei der Entsorgung seiner Stoffwechselendprodukte interessant wirken. Gehen Sie ins Wohnzimmer zurück, trinken Sie ihren Wein aus, bedanken Sie sich für den netten Abend, fahren Sie nach Hause und löschen Sie die Nummer dieses selbstverliebten Totalausfalls aus Ihrem Telefon. Der schlimmste vorstellbare Fall jedoch ist der, in dem Sie das Bad betreten, die Türe schließen, sich umdrehen und außer dem Aufdruck auf der Zahnpastatube nichts Lesbares vorfinden. Allein das Schreiben dieser Zeilen jagt mir einen Schauer über den Rücken, denn Menschen, die ohne Klolektüre leben, sind innerlich tot. Leere Hüllen ohne Leidenschaft, die wahrscheinlich noch nicht einmal wissen, dass ein Leben ohne Klolektüre vielleicht medizinisch machbar, aber vollkommen sinnlos ist. Schauen Sie also, dass Sie dort wegkommen. Am besten gleich durch das Toilettenfenster. Was auch immer Sie im Wohnzimmer zurücklassen müssen, können Sie sich neu kaufen. Das sind alles nur Gegenstände. Dinge, auf die man zur Not verzichten kann, glauben Sie mir. Aber den Abend in der Gesellschaft eines Menschen zu verbringen, der auf dem Klo nicht liest, bedeutet nicht weniger als eine Verschwendung Ihrer Lebenszeit. Abschließend: Sollten Sie diese Zeilen zufällig auf der Toilette eines Bekannten lesen, möchte ich Sie dazu beglückwünschen. Sie haben wirklich erlesenen Geschmack bei der Auswahl Ihrer Freunde und Bekannten bewiesen und ganz offensichtlich einen wunderbaren Menschen kennengelernt. Einen Menschen, der humorvoll, intelligent und von Grund auf sympathisch ist. Halten Sie ihn oder sie fest wie einen Schatz und grüßen Sie schön. B.
Rechts ist frei, aber beeilen Sie sich! Das Leben steht der Kunst im Weg, so sagt man. In meinem Fall stimmt das auch uneingeschränkt, doch es gibt auch eine Menge Menschen, an denen diese goldene Einsicht abzuperlen scheint. Vielleicht wissen diese Menschen gar nicht, dass das Leben der Kunst im Wege steht, und ihre Unwissenheit ermöglicht es ihnen, Künstler zu sein... Möglich, oder? Ja, möglich vielleicht, aber ich glaube nicht, dass es so einfach ist. Wissen Sie, was ich glaube? Ich glaube, es gibt einen Trick, eine Art geheimes Herrschaftswissen oder vielleicht auch einen hermetisch von der Außenwelt verborgenen sektenartigen Geheimbund, dessen Mitgliedern Mittel und Wege zur Verfügung stehen, die es ihnen ermöglichen, sich um ihre Kunst – und nur um ihre Kunst – zu kümmern. Die Kunst (und das ist der eigentliche perfide Trick in diesem Zusammenhang) übernimmt für all jene, die dieses Herrschaftswissen teilen, sogar die Funktion der Kaufkraftbesorgung, der Arbeit also, eine Tätigkeit, die mich paradoxerweise immer von der Verfolgung meiner künstlerischen Ziele abzuhalten scheint. Verstehen Sie? Es ist eine geradezu Escher'sche Umkehr der Realitäten: Ich arbeite mir den Buckel eckig, um Geld für meine musikalischen Ambitionen und Aktivitäten zu verdienen, und ein beliebiges Mitglied dieses Geheimbundes, nennen wir ihn von mir aus einfach Mark Forster, bekommt Geld dafür, dass er keinerlei musikalische Ambitionen erkennen lässt. Und er bekommt für diese konsequente Vermeidungshaltung gegenüber jedweder künstlerischer Betätigung auch noch viel mehr Geld, als ich für meine harte Arbeit bekomme! Er ist Mark Forster. Er ist halt vorhanden, und er ist darüber hinaus zuverlässig jeden Tag dieser Mark Forster-Typ. Und er lässt sich dabei filmen, wie er eine lustige Mütze auf dem Kopf hat und dabei freundlich in die Kamera lächelt. Sollten Sie, lieber Leser, liebe Leserin oder lieber lesender Mensch anderweitiger Kategorisierung, mich nicht persönlich kennen und ein eingefleischter Mark-Forster-Fan sein, dann möchte ich Ihnen an dieser Stelle versichern, dass ich keinesfalls etwas gegen Mark Forster persönlich habe. Ich meine, wir sind uns nie begegnet! Und sollten Sie mich persönlich kennen, werden Sie ohnehin wissen, dass der letzte Satz gelogen war. Nein, seien wir ehrlich: Ich hasse den Typen. Die Frage ist also: Warum ist das so? Warum kann ich diese dauergrinsende sympathisch-lockere Erfolgsfresse nicht ertragen? Kenne ich den Kerl? Hat er mir was getan? Hat er schlecht über mich geredet, oder seinen Hund in meine Einfahrt kacken lassen? Nein. Nicht, dass ich wüsste. Warum neide ich ihm seinen Erfolg? Seine Jugend? Seine Beliebtheit? Ist es einfach die Tatsache, dass er scheinbar alles richtig gemacht hat, während ich verkackt habe und nun im Tal der Tränen sitze, ganz unten, da, wo der bittere Wein des Versagens den Morast der Verzweiflung durchtränkt, bis daraus die Sümpfe der bleischweren Selbstaufgabe entstanden, in denen ich jetzt bis zum Hals versunken stehe und auf einer verstimmten Billig-Gitarre den erfolglosen Blues der falschen Entscheidungen krächze? Ja, natürlich! Klar! Was meinen Sie denn? Das ist für meine Verhältnisse ein sehr kurzer Blog. Aber man muss ja auch nicht alles aufblasen, bis es nur durch die schiere Masse an Gravitation gewinnt. Selbsteinsicht kann sehr befreiend sein, so sagt man. Ich habe keine Ahnung, ob das stimmt. In meinem Fall hat diese Befreiung immerhin dazu geführt, dass ich nun weiß, warum ich eigentlich alles scheiße finde. Wissen Sie was? Der Mützenmann kann überhaupt nichts dafür. Und das ärgert mich irgendwie am meisten. Andererseits sind solche Anfälle von Neid und Missgunst auch immer ein Zeichen dafür, dass man in die falsche Richtung denkt. Ich glaube, die wahre Kunst ist es, mit sich selbst klar zu kommen. Der Vergleich mit Anderen kann nur in die Verzweiflung führen, denn man vergleicht sich immer mit denen, die - zumindest augenscheinlich - das bessere Leben haben, nie mit denen, denen es mieser geht, als einem selbst. Der oft zitierte Volksmund sagt, dass das Gras auf der anderen Seite immer grüner zu sein scheint. Die Frage, die man sich ab und zu stellen sollte, ist die: »Möchte ich mein Gras eigentlich grüner? Oder finde ich mein Gras in seinem momentanen Grün eigentlich ganz okay?« Sehen Sie es doch mal so: Auch Mark Forster sieht Gras auf der anderen Seite. Und auch er findet es bestimmt irgendwie grüner, als das Eigene. Und schon sieht alles wieder ganz okay aus. Grün, irgendwie. Und grün ist gar nicht schlecht. B. PS: Gerade informiert mich mein Nachrichtenfeed, dass Mark Forster auf seiner aktuellen Platte zwei Platinsingles feiern kann. Ich gratuliere. Auch meinem Nachrichtenfeed, der irgendwie immer weiß, wie er mir nach getaner Arbeit noch einmal final in den Hintern treten kann.
Heute keine launige Begrüßung. Das hier ist ernst. Ich bin kein Querdenker. Absolut nicht. Ich bin aber auch – und das wird Ihnen Jeder, der mich kennt, attestieren – kein leichtgläubiger Vollidiot, der jeden vorgefertigten Mist für bare Münze nimmt. Deshalb möchte ich Ihnen an dieser Stelle einmal einen durch und durch der Wahrheit entsprechenden Erfahrungsbericht an die Hand geben. Natürlich ist er subjektiv. Es ist MEIN Erfahrungsbericht. Ich bin das Subjekt, welches die Erfahrung gemacht hat, also kann er nicht objektiv sein, denn das ist es nicht, was „objektiv“ bedeutet. Sollte Ihnen jemals ein absolut objektiver Erfahrungsbericht angedient werden, wissen Sie also, was Sie von einem solchen Deppen halten sollten. Ich habe gestern meine erste Impfung erhalten. Es gab mal Zeiten, da hätte man mich an dieser Stelle gefragt, gegen was ich denn geimpft worden sei, aber dazu kommen wir gegen Ende dieses Blogs noch zu sprechen. Hier ist also mein persönlicher Erfahrungsbericht. Machen Sie sich Ihre eigene Meinung über anhängige Verschwörungstheorien, meine Willfährigkeit gegenüber den herrschenden Mächten oder auch darüber, ob ich als Versuchskaninchen für eine Rasse außerirdischer Echsenwesen missbraucht wurde, welche die menschliche Rasse erst unterjochen und dann aufessen möchte. Gestern: Heute ist mein Impftermin. Ich fahre in die Stadt zu meiner Hausärztin. Im Frühstücksfernsehen sprach man heute – wie bereits seit einem guten Jahr – fast ausschließlich über das Coronavirus, und ich werde heute genau dagegen geimpft, und hoffentlich auch gegen das Morgenmagazin. Ich parke mein Auto, und auf dem Parkautomaten entdecke ich einen Aufkleber mit einem QR-Code: „Jetzt scannen! Die vertuschte Wahrheit über die Imftoten in Altersheimen!“ Ich bemerke, dass der Verfasser, der sich so intensiv mit Impftoten beschäftigt hat, dass er über geheime Informationen höchster Brisanz verfügt, trotzdem bis zum heutigen Tag noch nicht einmal weiß, wie man „Impftote“ schreibt, und verzichte aufgrund der Faktenlage auf den Scan. Außerdem bin ich spät dran. Die junge Dame, die mir wenig später mit einer Spritze in der Hand gegenüber sitzt, klärt mich über häufige, weniger häufige und seltene bis extrem seltene Nebenwirkungen auf. Ich nicke, sie lächelt, und dann sinkt die Nadel in meinen Oberarm. Die Kanüle ist so unfassbar dünn, dass ich noch nicht einmal einen Stich verspüre. Dann ist es auch schon vorbei. Man schickt mich für zehn Minuten ins Wartezimmer und dann darf ich wieder fahren. Heute: Mein Wecker klingelt und ich wache auf. Ich liege mit geschlossenen Augen auf dem Rücken und höre tief in mich hinein. Meine Finger fühlen sich geschwollen an. In meinem angewinkelten linken Knie bemerke ich ein hässliches Stechen und ich strecke das Bein aus, was mir nach ein paar Sekunden und nicht ohne ein leises Stöhnen gelingt. Mein Rücken schmerzt und als ich meinen Kopf in Richtung des Weckers drehe, ist es, als knirsche es mein Nacken. Ich bin wirklich nicht in guter Verfassung. Ich verspüre auch eine leichte Übelkeit, die ich aber mit ein paar tiefen Atemzügen in den Griff bekomme. So weit so gut. Ich setze mich seufzend auf, und bringe den verdammten Wecker zum Schweigen. Auf der Bettkante sitzend mache ich Bestandsaufnahme. Mein ganzer Körper fühlt sich an, als hätte ich am Vortag am Ironman auf Hawaii teilgenommen und mit einem Platz unter den ersten Zehn abgeschnitten. Es ist wie ein starker, ein sehr starker Muskelkater, nur irgendwie anders, irgendwie hinterhältiger, intensiver und auch ein wenig – nun – äußerlicher. Wie ein blauer Fleck, verteilt auf den ganzen Körper. Unter Stöhnen hieve ich mich auf die Beine. Meine Füße quittieren das Gewicht meines Körpers mit einer empörten Meldung an mein Gehirn. Ein wenig so, als würde man Stecknadeln in halb eingeschlafene Fußsohlen stecken. Es sticht, kribbelt, schmerzt leicht, und sendet diese Signale bis hinauf in meine Knie. Ich denke, es wäre wahrscheinlich eine gute Idee gewesen, die heutigen Termine abzusagen. Ich würde gern daheim bleiben. Ich fühle mich elend. Wirklich elend. Dann gehe ich ins Bad. Vor dem Spiegel stehend, drücke ich mein Kreuz durch und versuche, endlich in eine aufrechte Stellung zu kommen. Wieder rebelliert mein Körper und meine Hüfte sendet einen Beschwerdebrief über meine Wirbelsäule bis hinauf in meine Schultern. Es ist wirklich brutal. Ich möchte an dieser Stelle nicht übertreiben, denn das Wort „Martyrium“ ist dann vielleicht doch ein wenig zu hoch gegriffen, aber ich fühle mich wirklich schlecht. Sehr schlecht. Mein Kreislauf ist im Keller, mein ganzer Körper schmerzt und ich frage mich, wie ich den heutigen Tag auf der Arbeit überleben soll. Ein ganz normaler Morgen für einen ganz normalen Mittfünfziger, also. Ich schlurfe zurück ins Schlafzimmer und ziehe mir ein T-Shirt über. Als ich meinen linken Arm hebe, stelle ich eine leicht schmerzende Stelle an meinem Oberarm fest, die mir neu erscheint. Es fühlt sich an, als sei ich am Vortag unvorsichtigerweise mit der Schulter gegen einen Türrahmen gestoßen. Dann fällt mir ein, dass ich gestern die erste Impfung gegen Covid-19 erhalten habe, und schreibe diesen leichten Druckschmerz der Einstichstelle der Spritze zu. Im Ernst: Machen Sie einen Termin und lassen Sie sich impfen. Kennen Sie den Unterschied zwischen der Covid-Impfung und der Pockenimpfung oder der Schluckimpfung gegen die Kinderlähmung, an die sich die Älteren vielleicht erinnern werden? Der Unterschied ist das Internet. Das ist der große und einzige Unterschied. Früher hat der nette Mann im weißen Kittel gesagt, man solle sich impfen lassen, weil man sonst ganz furchtbar krank werden könne. Man dachte sich also: „Okay, wenn er das sagt... Er hat es studiert, ich nicht, also her mit dem Zeug, wenn´s die Kasse zahlt!“ Und heute? Heute leben in Deutschland 83.000.000 Virologen, und alle wissen es besser, als jeder Hausarzt, jeder Professor, jeder Statistiker und jeder Forscher auf dem Gebiet der Infektionskrankheiten. Es sind tatsächlich exakt 83.000.000! Genau 83.000.000! Wirklich wahr. Ich habe sie gezählt! Zwei mal! Glauben Sie nicht? Doch, hab ich! Ehrlich! Und wenn Sie sonst jeden Dreck aus dem Internet glauben, nur weil er geheimnisvoll und verschwörerisch klingt, weil er sensationell ist und Sie sich denken: „Aber was, wenn es wirklich stimmt?“ Nun, dann können Sie mir auch glauben, dass es in Deutschland zur Zeit 83.000.000 Fachleute in Sachen Pandemiebekämpfung gibt, und dass ich sie persönlich zweimal durchgezählt habe. Mein Tipp: Investieren Sie in weiße Kittel. Denn bald werden wir alle mit weißen Kitteln durch die Fußgängerzonen laufen, denn wir alle sind dann Spezialisten. Die Kittelherstellungsbetriebe werden Aktien auf den Markt werfen, und wir alle werden reicher als wir es uns vorstellen können. Ehrlich! Mein zweiter Impftermin ist übrigens in der ersten Juniwoche. Ich freue mich drauf. Und ich werde mich am Tag darauf wieder beschissen fühlen. Allerdings habe ich das auch schon vor drei Wochen, und da war ich noch nicht geimpft. Das läuft sich über den Tag hinweg raus. Erfahrungssache, so was... Und wenn ich nach der zweiten Impfung tatsächlich unter Nebenwirkungen leiden werde, dann werde ich das auch noch überleben. Zumindest werden diese Nebenwirkungen nicht aus einem Beatmungsschlauch oder aus der total plausiblen Annahme bestehen, dass ich einer der Vollidioten sein werde, die ein Intensivbett belegen, weil sie glauben, dass Bill Gates ihnen einen Chip implantieren will. Peace. Und nichts für ungut. B.
Karsten Dusse hat in seinem Roman „Achtsam Morden“ bildhaft und unterhaltsam beschrieben, welche Auswirkungen es haben kann, wenn man allzu achtsam mit sich selbst und seiner Umgebung umgeht. Ich möchte Sie an dieser Stelle ausdrücklich nicht dazu aufrufen, die halbe Unterwelt Ihrer Heimatstadt auszurotten, nur um in den Genuss einer KiTa-Stelle für Ihren Nachwuchs zu kommen, aber die Sache mit der Achtsamkeit hat trotzdem durchaus ihre Vorteile. Kurz: Man sollte ab und zu mal einen Schritt zurück machen und sich fragen: „Wie genau stellt sich eigentlich die momentane Situation dar?“, und auch die daran anschließende Frage „Wie finde ich das eigentlich?“ kann nicht schaden. Ein Beispiel: Ein guter Bekannter, nennen wir ihn Iggy, erzählte mir vor einiger Zeit, er habe vor Jahren einmal bei der Vox-Serie „Das perfekte Dinner“ teilgenommen und sogar den Wochensieg abgeräumt. Ich glaubte ihm sofort, denn – und das sei hier in Granit gemeißelt – der Mann kann kochen. Ernsthaft: Erlauben Sie sich bloß nicht, zu sterben, bevor Sie Iggy´s Pasta Aglio e Olio mit mildem Chili gegessen haben. Es ist Einfachheit in perfekter Form. Sie werden den Teller nicht leeren wollen, Sie werden eine Kerze davor platzieren und ihn anbeten. Ihn, diesen Teller, diesen Teller voller Pasta, diese Augenweide, die von Carl Spitzweg gemalt werden sollte. Lieben werden Sie ihn, diesen Teller, und schon nach der ersten Gabel dieser bissfesten und trotzdem samtig-sämigen Herrlichkeit werden Sie einen Beitritt zur katholischen Kirche erwägen, einfach nur, weil diese ihren Hauptsitz in Italien hat. Was ich damit sagen möchte, ist: Essen Sie die verdammten Nudeln. Dann können Sie lächelnd abkratzen, denn Sie werden es als ein besserer Mensch tun. Als ein Mensch, der zumindest einmal im Leben wahre Perfektion erlebt hat. Verdammt, jetzt habe ich Hunger bekommen... Wo war ich? Ach ja. „Das Perfekte Dinner“. Iggy erzählte mir also von der Serie und auch, dass er noch heute regelmäßig rein schaue, und sei es einfach nur aus Gewohnheit und in Erinnerung an seinen eigenen kleinen Triumph. Ich dachte mir darauf im Stillen das Folgende: Wenn ein Kerl wie Iggy, d er aus Pasta, Knoblauch, Olivenöl und ein paar Schoten eine Melange aus purer Zufriedenheit zu kreieren weiß, diese Sendung verfolgt, kann ich mir vielleicht ebenfalls die eine oder andere handwerkliche Finesse abschauen, denn auch ich koche viel und gerne. Als Nicht-Eingeweihter in die Lehren und Fallstricke des Vorabendfernsehens begann also auch ich, von Neugier getrieben, jeden Abend um neunzehn Uhr den Fernseher einzuschalten. Es war irgendwie genau so, wie die Sache mit dem Verkehrsunfall: Man weiß, man sollte so was eigentlich nicht anstarren, aber nach einer Weile wird es schwer, nicht hinzuschauen. Für all jene unter Ihnen, die mit der Sendung nicht vertraut sind: Beim Perfekten Dinner handelt es sich um eine Show, in der sich fünf völlig Fremde eine Woche lang gegenseitig bekochen. Jeder richtet einmal ein Abendessen aus, natürlich werden Punkte verteilt, und wer am Freitag die meisten Punkte sein Eigen nennt, ist toll. So saß ich vor dem flachen Konversationszerstörer im Wohnzimmer und schaute gebannt auf die Entwicklung der Ereignisse. War der Kommunikationsdesigner und Webadministrator Heinz-Jürgen aus Gütersloh in der Lage, seinen Gästen zum Dessert ein Schokotörtchen zu präsentieren, welches einen leicht flüssigen Kern hatte? Konnte Samira, die Hühnerpsychologin aus Herne, mit ihrem vegetarischen „Sonnenteller“ auch einen Fleischliebhaber wie Björn, den leicht adipösen Metzgermeister aus Dülmen, überzeugen? Und überhaupt: Hatte Marion, die Sonnenstudiobesitzerin aus Oer-Erkenschwick überhaupt noch eine Chance auf den Wochensieg, nachdem ihr Zanderfilet am Dienstag jegliche Röstaromen vermissen ließ (Ein Fauxpas, der „innerhalb der Gruppe“ durchaus kontrovers diskutiert wurde)? Fragen über Fragen, und die Antworten würden erst bei der finalen Offenlegung der erzielten Punkte das Licht der Welt erblicken. Spannung, schlaflose Nächte, klamme Hände, Appetitverlust und ein leichter Hang zum Nachschauen existenzieller Fakten in den einschlägigen Mediatheken waren die Folge dieser geistigen Folter, denn man kann sich ja auch nicht alles merken. Es war brutal, glauben Sie mir, aber machen wir es kurz: Es kam der Freitag und die Zeit der Punktevergabe rückte unaufhaltsam näher. Ich saß bei Bier und Chips im heimeligen Kerzenschein und mein Atem ging stoßweise und stockend. Es lief auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Samira und Heinz-Jürgen hinaus, wie es schien. Samira konnte Gemüse grillen, verdammt, ja, das konnte sie, aber Heinz-Jürgen (oder Äitsch-Dschäi, wie ich ihn mittlerweile nannte) hatte sich als wahrer König des Rinderfilets entpuppt, und dann war da ja auch noch die Sache mit dem perfekt weichen Kern im Schokokuchen. War er überhaupt noch zu schlagen? Andererseits hatte Samira den eindeutigen Vorteil der extrem kurzen Röcke auf ihrer Seite... Außerdem war ihr vegetarischer Ansatz immer für ein oder zwei Underdog-Punkte gut, das war nicht zu unterschätzen. Es würde bis zum bitteren Ende keine klare Tendenz erkennbar werden, das stand fest. Meine Handflächen schwitzten. Ich bemerkte ein nervöses Zucken in meinem linken Augenlid, erhöhter Speichelfluss troff mir aus dem Mundwinkel, und die Spannung drohte, mich zu zerreißen. Dann war es endlich soweit. Die Umschläge mit den Punkten wurden hereingebracht. In wenigen Sekunden würde der Sieger feststehen. Ich rieb mir kalten Schweiß von der Stirn und beugte mich nach vorn, um bloß nichts zu verpassen. Werbepause. Natürlich. Na, gut. Das war ja zu erwarten. Ich beschloss, die Zeit zu nutzen und ging schnellen Schrittes zur keramischen Abteilung meiner Wohnstatt, um dort Gewicht abzubauen. So saß ich dann auf dem Thron des kleinen Mannes und plötzlich war es, als würde ein gleißendes Licht vom Himmel fallen. Ein glühender Strahl reinsten göttlichen Scheins zerschnitt das Halbdunkel meiner durch eine Energiesparlampe spärlich illuminierten Erleichterungskaschemme, ein Donnerknall ertönte, und eine Stimme, klar wie der Morgen und voluminös wie Glockenklang, erschallte in meinem Kopf. Und sie sprach auf mich herab: »Bescheuert, oder wie? Mach sofort die Scheiße aus!« Und dann erlebte ich einen Moment der Achtsamkeit und Klarheit. Mir wurde klar, dass Mutti mich nicht auf die Schule geschickt hatte, damit ich als Mittfünfziger anderen Leuten beim Kochen zuschaute. Die wohlmeinenden Lehrer meiner Jugend hatten nicht versucht, mir die Klassiker der Literatur, die Musik der großen Meister und die faszinierende Komplexität der Naturwissenschaften näher zu bringen, damit ich nun, als erwachsener Mann, mit leerem Blick und dumpfem Schädel eine Antwort auf die Frage erhielt, ob nun Heinz-Jürgen oder Samira in den Augen von Björn, dem einsamen Dülmener Schweineschlachter, besser darin war, Essig-Öl-Tunke über Salat zu schütten. Ein Moment der Klarheit. Achtsam. Eindeutig. Ich dachte an all meine Beschwerden darüber, dass ich keine Zeit für die Dinge zu haben glaubte, die mir etwas bedeuten, all mein Klagen über viel zu dicht gepackte Termine, zu wenig Zeit für mich und meine Frau, meine Freunde, mein Schreiben und meine Musik, ja, mein Leben ganz allgemein! Mir wurde klar, dass ich mich ständig darüber beschwerte, keine Zeit für die schönen Dinge im Leben zu haben, und doch fand ich seit einer Woche die Muße, mir allabendlich das Hirn zu verpesten, in dem ich Leuten, die ich nicht kannte, in Städten, die ich noch nie besucht hatte, dabei zuzuschauen, wie sie sich gegenseitig was zu essen kochten? Interessierte es mich auch nur im Geringsten, was Äitsch-Dschäi von Samiras Paprikas hielt? Interessierten mich die Teilnehmer, die Rezepte, die Tischdeko, die Esszimmer oder die launigen Kommentare aus dem Off? Interessierte es mich, wer am Ende der Woche drei Mille mit nach Hause nahm? Interessierte mich überhaupt irgendwas von dem ganzen Blödsinn? Mir wurde klar, dass ich mir tatsächlich freiwillig Dinge anschaute, die mich nicht die Bohne etwas angingen und regte mich sogar darüber auf, wenn der Kram, den ich eigentlich nicht sehen wollte, durch Werbepausen unterbrochen wurde, die ich ebenfalls nicht sehen wollte. Fakt: Die Glotze hatte mich eingeholt, eingelullt und weichgekocht, bis hin zum flüssigen Schokokern meines Resthirns. Machen wir uns also bewusst: Es ist nicht die Aufgabe des Fernsehens, uns zu unterhalten. Es ist die Aufgabe des Fernsehens, seinen Werbekunden Zuschauer zu liefern. Das weiß man, das ist klar, aber trotzdem hatte die Glotze es irgendwie geschafft, mich in ihren Bann zu ziehen. Ich meine: Bei Idioten? Okay. Aber verstehen Sie mich nicht falsch: Das dies auch bei so unfassbar intelligenten Menschen wie mir und Ihnen, lieber Leser, lieber Leserin und liebem lesenden Menschen anderer Kategorisierung funktioniert, finde ich gelinde gesagt erschreckend. Das perfekte Dinner und ähnliche Formate sind das perfekte Verbrechen: Sie sind Geiselnahmen ohne Freiheitsberaubung. Erstaunlich, oder? Bevor ich mich in Zukunft über völlig belanglosen Schwachsinn aufrege, werde ich versuchen, achtsamer zu sein. Ich bin der festen Überzeugung, dass sich in 99,9 Prozent der Fälle etwas finden wird, dass meine Aufmerksamkeit eher verdient, als dieser seelen- und belanglose Mumpitz. Und die verbleibenden 0,1 Prozent werde ich vielleicht einfach aussitzen. Das geht vorbei. Viel Spaß also bei Ninja Warrior Germany, Germany's next Topmodel und der vierhundertvierzigsten Wiederholung der Big Bang Theory. Wussten Sie übrigens, dass die deutsche Erstausstrahlung von „Two and a half men“ bereits am 12.05.2005 stattfand? Sie erinnern sich? Das war damals... drei Wochen, nachdem Joseph Ratzinger plötzlich zu Papst Benedikt wurde und Johannes Paul II ablöste. Lange her, gell? Sehr lange her. Aber seit diesem Tag sitzen wir hier und schauen uns die vierzigste Wiederholung der fünften Folge der dritten Staffel an, und wundern uns, warum wir so wenig Zeit für die wichtigen Dinge des Lebens haben. Ganz im Ernst: Wollen wir da wirklich hin? Echt? Warum? Und was „Das Perfekte Dinner“ angeht: Ich werde in Zukunft einfach selbst Eines kochen, und ein Leben haben, anstatt anderen Menschen in meiner Glotze beim Leben-Haben zuschauen. Oder, jetzt, wo ich gerade darüber nachdenke, vielleicht einfach noch mal bei meinem Kumpel Iggy nachfragen, wann es das nächste Mal Spaghetti gibt. Der Mann kann kochen. Und ich kenne ihn persönlich, ganz im Gegensatz zu Samira, Aitsch Dschäi und all den anderen Arschnasen. Das ist mein Plan. Machen Sie sich Ihren eigenen Plan, und handeln Sie danach. Es geht mich ja auch nichts an. Ebenso wenig, wie es mich etwas angeht, wenn fremde Menschen in fremden Städten nach fremden Rezeptbüchern versuchen, einen Schokokuchen mit weichem Kern herzustellen, damit ihnen fremde Menschen dafür eine unbekannte Anzahl von Punkten vergeben. Und nichts für ungut. B.
Mein Körper und ich sind alte Kumpels. Wir haben gemeinsam eine Menge erlebt, wir kennen uns verdammt lange, und im Allgemeinen kommen wir zwei ganz prima miteinander aus. Okay, wenn mein Körper zum Beispiel Kopfschmerzen hat, kann das auch mir den Tag versauen, aber daran sieht man halt auch, wie eng die Beziehung ist, die mein Körper und ich pflegen. Die Beziehung zwischen Menschen und ihren Körpern kann sehr unterschiedlicher Natur sein, und das liegt häufig daran, wie Menschen ihre Körper empfinden. Ich weiß, dass es viele Menschen gibt, die – gerade in unserer gesundheitsbewussten Zeit – der Meinung sind, ihr Körper sei eine Art Tempel, der nicht durch tierische Produkte, sonstige ungesunde Ernährung und mangelnde Bewegung entweiht werden dürfe. So sehr ich diese Menschen auch respektiere und schätze – immerhin esse ich selbst weder Wurst, noch Fleisch oder Fisch – in diesem Punkt möchte ich ihnen widersprechen. Mein Körper ist kein Tempel. Kein Stück. Nie gewesen. Ich widerspreche der Ansicht dieser Menschen im Vollbesitz meiner rapide schwindenden geistigen und körperlichen Kräfte, und ich tue es mit einem gut gekühlten Bier in der einen und einer großen Tüte herrlich salziger Pommes in der anderen Hand. Und ich tue es im Brustton der Überzeugung, denn mein Körper ist ein verdammter Vergnügungspark. Mein Körper ist "Burkiland", wenn Sie so wollen. Ich bin im Besitz eines Tickets, welches mir freien Eintritt zu sämtlichen Fahrgeschäften und Lokalen meines persönlichen Vergnügungsparks garantiert, und ich habe vor, dieses Ticket zu nutzen und mir die damit verbundenen Freuden und Genüsse rein zu pfeffern, wann und wo auch immer es geht. Mit diesem Körper werde ich Spaß haben, bis es keinen Spaß mehr macht, ich werde mir selbst gut tun, bis es mir weh tut, ich werde mein Leben genießen, mein Essen, meine Getränke, mein Dasein im Allgemeinen und das Dasein derer, die mir nahe stehen, im Besonderen. Schauen sie, es ist ja so: Gerade in meiner Jugend habe ich Dinge getan, Dinge konsumiert und Dingen gefrönt, die mir jede Menge Spaß bereitet haben, und Sie können mir glauben, dass ich Einiges davon bis heute selbst kaum glauben kann. Gleichzeitig habe ich damals auf Dinge verzichtet, auf die ich nicht hätte verzichten sollen. Zum Beispiel habe ich schon frühzeitig darauf verzichtet, auf das Rauchen zu verzichten. Gerade dieser Verzicht war – wie ich heute weiß – einer, auf den ich besser verzichtet hätte. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Ich bin kein Idiot. Natürlich ist mir völlig klar, dass ein Lebenswandel, wie ich ihn lange Zeit geführt habe, nicht spurlos an mir vorübergehen kann. Es ist wie in jeder Genuss-Situation. Sei es in einer Kneipe, einem wirklich guten Restaurant oder auch in der „Grillstation zum Schmierigen Löffel“, einer komplett versifften Dönerklitsche am Ende einer Schotterstraße im Industriegebiet mit drei Wochen altem Frittierfett, in der "explosiver Brechdurchfall" die wahre Spezialität des Hauses darstellt... Eines ist klar: Am Ende steht da immer Jemand, der einem die Rechnung entgegen hält. In meinem Fall war die Rechnung hoch: Chronische obstruktive Lungenkrankheit, oder kurz COPD. Es war eine Rechnung, die ich zum Zeitpunkt der Diagnose als verdammt hoch empfand, aber der Kellner war zu keinerlei Rabatt bereit. Ich habe nicht lange mit ihm diskutiert. Sinnlos, so was. Manchmal ist es ganz einfach: Ich kannte die Preise und hatte trotzdem bestellt. Die Rechnung präsentierte mir dann der Kellner in Person meines Lungenfacharztes. Er trug sogar eine – entfernt an einen Kellner erinnernde – weiße Jacke, als er mir die Rechnung präsentierte, was mich gefreut hat, denn ich arbeite grundsätzlich am liebsten mit Profis. (»Tisch drei? Sie wollen zahlen? Ja, gerne... Sie hatten dreißig Jahre Zigarettenkonsum, plus diverse andere Kleinigkeiten, das macht dann... einen Moment... ein lächerlich miserables Lungenvolumen und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit etliche Jährchen Ihrer Lebenszeit. Ich bringe Ihnen auf den Schreck noch einen hochprozentigen und die Leber schädigenden Cognac. Geht auf´s Haus. Brauchen Sie eine Quittung?«) Und wissen Sie was? Den Cognac würde ich nehmen. Warum? Weil ich ihn mag. Ich denke, am Ende des Tages liegt der Königsweg einfach darin, mit sich selbst im Reinen zu sein. Ich habe es eine Weile ganz schön krachen lassen, und wenn ich die Rechnung präsentiert bekomme, darf ich mich nicht wundern, wenn mir der Betrag unter dem Strich nicht gefällt. Ich war derjenige, der den Deckel für den Abend zusammengebracht hat, und nun bin ich derjenige, der ihn zahlt. Das ist nur fair. Warum ich Ihnen das erzähle? Weil ich Ihnen lange nichts erzählt habe. Mein letzter Blog ist lange her und ich habe mich selbst gefragt, warum ich irgendwie momentan nichts zu sagen habe, was des Schreibens lohnen würde. Da war natürlich das allgegenwärtige Corona-Ding, und ich muss gestehen, dass diese Situation auch mich nicht vollkommen kalt lässt. Gerade als chronisch Lungenkranker bin ich natürlich an einer schnellen Impfung gegen eine Lungenkrankheit interessiert, und ich habe lange darüber nachgedacht, ob ich vielleicht darüber schreiben sollte, welchem absolut chaotischen Irrsinn man sich gegenübersieht, wenn man sich in meiner Situation um einen Impftermin kümmern möchte. Bei mir sah es in etwa folgendermaßen aus: Ich befinde mich zwar in der aktuellen Priorisierungsgruppe, aber ich bin noch nicht über sechzig Jahre alt. Also informierte mich die offizielle Terminvergabe der Kassenärztlichen Vereinigung darüber, dass ich meinen Hausarzt um einen Termin bitten muss. Mein Hausarzt sagte, er habe keinen Impfstoff, und daher solle ich meinen Lungenfacharzt kontaktieren. Mein Lungenfacharzt sagte, er habe keinen Impfstoff, da er eine Privatpraxis führe und Impfstoff nur an kassenärztliche Praxen vergeben werde. Der kassenärztliche Facharzt, den ich daraufhin anrief, sagte, er könne mir auch nicht helfen, denn er habe keinen Impfstoff, aber ich solle mich doch einfach mal an meinen Hausarzt wenden... Den Rest erspare ich Ihnen. Noch mal: Ich bin in dieser Gruppe, weil ich eine Vorerkrankung habe. Die Vorerkrankung habe ich, weil ich bestellt hatte, und irgendwann die Rechnung bekam. Habe ich ein Problem damit, dass es nicht schnell genug geht? Habe ich jetzt ein Problem mit Frau Merkel oder den Herren Söder, Laschet oder Spahn? Blödsinn. Ich sage es, wie es ist: Es ist Mist gebaut worden, doch die Leute tun, was sie können. Damit meine ich die Leute, die die wirkliche, die die tatsächliche Arbeit machen. Ich meine die Ärzte, die Pfleger, die Intensivmediziner, die Betreuer, die Altenpfleger, die MTAs und - nicht zu vergessen - die Leute in den Callcentern der Terminvergabe, die täglich beschimpft, beschuldigt und erniedrigt werden. Diese Leute können nur vergeben, was auch vorhanden ist. Sei es Impfstoff, oder seien es Termine. Nur mal so, zum Zwecke der Perspektive: In meinem Fall bin ICH derjenige der den Mist gebaut hat, sonst wäre ich nicht in der Priorisierungsgruppe, die mich jetzt – aufgrund der Vorerkrankung – zu einer Impfung berechtigt. Ich sollte mich also nicht darüber beschweren, dass ich nicht sofort einen Termin bekomme, sondern ich sollte mich darüber freuen, dass ich schon jetzt terminberechtigt bin, obwohl ich an meiner Situation selbst die Schuld trage. Danke dafür. Im Ernst. Vielleicht habe ich ja hier wirklich Glück im Unglück. Ich bin ein Mensch, der gerne genießt. Mein Körper ist "Burkiland", ein Vergnügungspark, und ich bin mir bewusst, dass ich einige schlechte Entscheidungen getroffen habe. Andererseits stelle ich mir oft die Frage, ob ich wirklich bereue, was ich getan habe, und die Antwort ist ein klares „Nein“. Meiner Meinung nach bereut man häufig die Dinge, die man eben NICHT getan hat. Es sind s elten die Dinge, an die man sich noch Jahre später erinnert, und seien sie auch noch so dämlich gewesen. Ich glaube, das Leben sollte Spaß machen. Ich glaube, man kommt nur einmal rum, und da sollte man die Fahrt auch genießen. Jack Nicholson wird nachgesagt, er habe einmal die Meinung geäußert: „Wenn ich sterbe, dann will ich krank sein. Nicht gesund. Das wäre bescheuert.“ Vielleicht sehe ich das ähnlich. Ich denke, ich würde lieber bei voller Fahrt und vor Freude kreischend mitten im Looping mit einer Achterbahn entgleisen, als gemütlich und in verhältnismäßiger Sicherheit an Altersschwäche zu sterben, während ich mit einem Glas Mineralwasser meinen Kumpels drüben am Bierstand zuproste, und mich frage, worüber sie wohl gerade lachen. Und wenn ich jetzt aufgrund meiner Erkrankung früher eine Impfung erhalte, als Sie, lieber Leser, dann geschieht dies nur, weil auch ich meinen Preis gezahlt habe. Kommt halt drauf klar, ihr schmerbäuchigen Spandexhosen-Fahrradhelm-Funktionswäsche-Wochenendradler und auch ihr, ihr Fitness-Studio-Jahreskarten-Selbstoptimierungs-Smartwatchglotzer. Verklagt mich, wenn Ihr meine schwabbelig-unansehnliche Körperlichkeit zum kotzen findet, Ihr Arschgeigen. Im Gegensatz zu Euch habe ich einen entscheidenden Vorteil: Ich bin mit mir, meinem Körper, meiner Geschichte und ja, auch mit meiner Zukunft, im Reinen. Und nichts für ungut. B. PS: Ich weiß, dass der Vergleich mit dem Vergnügungspark kein Burkhard-Simon-Original ist. Vergeben Sie mir also, lieber Ich-habe-das-Buch-auch-gelesen-Klugscheißer, der jetzt gerade ungefragt aus der letzten Reihe lauthals „Das hat er von Anthony Bourdain geklaut!“ in die Klasse blökt. Ich weiß, dass ich den Vergnügungspark-Vergleich von diesem viel zu früh verstorbenen Koch, Connaisseur internationaler Küche und Kenner der New Yorker Punkszene – nun – geliehen habe, nichts desto Trotz hatte der Mann vollkommen Recht, also erlauben Sie mir bitte, mich ausnahmsweise an dieser Stelle mal mit fremden Federn zu schmücken.
Hallo, Endverbraucher! Bock auf Zeitreise? Ich auch. Ich bin ein kleiner Junge in einem viel zu großen Körper. Ein emotional schwer angeschlagener, zutiefst verunsicherter junger Mensch, und ich halte ein Buch in Händen. Es trägt den Titel „Die unendliche Geschichte“ und es handelt von einem emotional schwer angeschlagenen, zutiefst verunsicherten kleinen Jungen, der ein Buch in Händen hält. Das Buch ist in einem kupferfarbenen Umschlag gebunden, und den Buchdeckel zieren zwei stilisierte Schlangen, die sich gegenseitig in den Schwanz zu beißen scheinen und die so ein Oval bilden – ein Zeichen für die Unendlichkeit. Der emotional schwer angeschlagene, zutiefst verunsicherte kleine Junge in meinem Buch heißt Bastian Balthasar Bux. Das Buch, das er in Händen hält, sieht ebenso aus, wie mein Buch. Mein Buch wurde mir von einem Freund überlassen, Bastian hat seines von einem Buchhändler mit Namen Karl Konrad Koreander gestohlen. Er ist kein Dieb, aber einem Buch, welches behauptet, eine unendliche Geschichte zu erzählen, konnte er einfach nicht widerstehen. Ich lese. Ich lese, und ich verschwinde mehr und mehr von dieser Welt. Bastian sitzt auf dem schmutzigen Dachboden seines Schulgebäudes und ich sitze bei ihm. Ich bin leise, er kann mich nicht hören und nicht sehen, doch dafür sehe ich ihn umso besser. Während ich in meinem Buch lese, schaue ich ihm beim Lesen seines Buches (oder ist es mein Buch?) zu. Ich rieche den Staub, der in den Sonnenstrahlen tanzt, die durch das kleine Dachfenster fallen, ich atme gemeinsam mit ihm die muffige, abgestandene Luft des Speichers und ich sehe durch seine Augen auf die Seiten meines Buches. Es dauert nicht lange, und Bastian und ich besuchen zum ersten Mal in unseren jungen Leben das Reich Phantásien. Bastian und ich, wir erleben, wie ein kleiner Junge – Atréju genannt, versucht, die kindliche Kaiserin zu retten. Atréju ist nicht wie Bastian und ich. Bastian und ich, wir sind verunsicherte kleine Jungs. Atréju ist zwar selbst ebenfalls noch ein Kind, doch er ist ein Jäger und ein Krieger. Ein Kämpfer für das Gute. Ein Held. Atréju ist alles, was Bastian und ich gerne wären. Er ist so, wie Bastian und ich es nur in unseren Träumen sein können. In den Träumen, von denen wir niemandem erzählen, denn sie sind uns peinlich, diese Träume, aber wir träumen sie dennoch gern. Wir sind kleine Jungs. Aber in unseren Träumen sind wir groß, und wir tun große Dinge. Wir lernen, dass das Reich Phantásien langsam aber scheinbar unaufhaltbar vom „Nichts“ verschlungen wird. Ein furchtbarer Gedanke. Das „Nichts“ lässt nichts zurück. Keine Menschen, keine Wesen, keine Erinnerung, nicht einmal das „Nichts“ selbst. Und gelingt es Atréju nicht, die kindliche Kaiserin von der schrecklichen Krankheit zu heilen, die sie schwächer und schwächer macht, ist auch ihr Reich dem Untergang geweiht. Je schwächer die kindliche Kaiserin wird, desto stärker wird sich das „Nichts“ ausbreiten. Die Situation ist bedrohlich. Bedrohlich und beängstigend. Ich schaue in mein Buch und damit Bastian Balthasar Bux über die Schulter. Wir sind gemeinsam dort auf diesem Dachboden. Wir werden von dem Buch mit dem kupferfarbenen Umschlag vereinnahmt. Hineingesogen in die Abenteuer Atréjus, wir durchstoßen gemeinsam die Wolken auf dem Rücken des Glücksdrachen Fuchur, wir drei, Bastian, Atréju und Burkhard, wir suchen nach einem Heilmittel, wir kämpfen und wir hoffen, und wir fürchten um den Fortbestand dieser wundervollen Welt Phantásien. Wir fürchten das Schlimmste, doch wir geben nicht auf. Wir dürfen nicht aufgeben, denn Atréju, Bastian und Burkhard sind die letzte Chance der kindlichen Kaiserin im Elfenbeinturm. Der letzte Strohhalm, und ganz Phantásien klammert sich an uns. Und als das Reich Phantásien gerettet war, als Mondenkind ihren neuen Namen erhalten und das „Nichts“ besiegt war, da hatten Bastian Balthasar Bux und der kleine Burkhard gelernt, dass auch der größte Held manchmal auf die Hilfe eines kleinen und verunsicherten Jungen angewiesen sein kann. Die Welt war gerettet, denn die Idee eines kleinen Jungen hatte die Macht besessen, die Kaiserin zu retten. Mondenkind... Welch ein Name. Mein Kumpel Bastian hatte ihn erdacht und das Reich Phantásien gerettet. Ich war wie Sam aus dem Herrn der Ringe, nein nicht wie Frodo, kein echter Held, nein, aber ein treuer Gefährte und Teil des Abenteuers, das nun hinter uns lag. Später, nach weiteren Wirren um die Frage, wie Bastian – jetzt ein Held – es wieder zurück in seine Welt schaffen könne, war ich an der letzten Seite angekommen und es tat mir körperlich weh, diese Welt nun verlassen zu müssen. Die letzte Seite eines Buches ist immer auch die letzte Minute des Besuches auf einem fremden Planeten. Und das Erreichen der letzten Seite ist immer der Beweis dafür, dass es ein schöner Planet, ein fesselnder Planet war. Wäre dem nicht so, hätte man die letzte Seite niemals erreicht. Ich ließ meine Freunde zurück und kehrte zurück in meine eigene Welt. Ein verunsicherter kleiner Junge in einem viel zu großen Körper, zurück im langweiligen zweiten Stock der Junkerstraße 17 in Bonn Bad Godesberg. Aber ich war ein kleiner verunsicherter Junge in einem viel zu großen Körper, der ein Abenteuer überlebt, der Gefahren getrotzt, und der seinen eigenen kleinen Beitrag dazu geleistet hatte, die kindliche Kaiserin zu retten und das Reich Phantásien vor dem Untergang zu bewahren. Ich hatte mein Zimmer nicht verlassen, und doch hatte ich eine lange Reise in eine fremde Welt unternommen. Ich war an dieser Reise gewachsen. Meine Persönlichkeit war an ihr gewachsen. Es war ein wilder Ritt durch die Wolken Phantásiens. Voller Spannung und Leben und Gefahr und Freundschaft. Bastian, Atréju und ich. Wir waren ein tolles Team. Ich liebe Bücher. Ende der Zeitreise. Sagen Sie mal, kennen Sie eigentlich TikTok? Ist auch total super. PS: Gerade erreichte mich die Voicemail eines guten Freundes, der anführte, dass er mich sehr wohl verstehe, dass er an meiner Stelle jedoch nicht ausgerechnet "Die unendliche Geschichte" zum Objekt seiner Lobhudelei gemacht hätte, da wahrscheinlich viele Leser den Film kennen (dessen Veröffentlichung der Autor des Buches zu verhindern versuchte, man stelle sich das vor...), nicht jedoch das Buch. Sollten Sie, lieber Leser, also den Film "Die unendliche Geschichte" gesehen haben und nun gar nicht verstehen, warum ich hier so ein Fass aufmache, dann liegt ihr Unverständnis exakt darin begründet. Sie haben den eben "den Film gesehen". Mein Rat: Beziehen Sie sich nie auf einen Film, wenn jemand von einem Buch spricht. Ein Buch entfesselt die Magie des Kopfkinos, während ein Kinofilm meist lediglich den Heißhunger auf Popcorn zu entfesseln vermag. Hier möchte ich mit dem alten Witz schließen, in dem zwei Ziegen eine Filmrolle auffressen: Ziege Nummer 1: »Und? Nicht schlecht, oder?« Ziege Nummer 2: »Ich weiß nicht... Ich fand das Buch besser.« Danke für Ihre Aufmerksamkeit. Und lesen Sie das Buch.
Ich meine ja nur... Es ist ja nicht so, dass der 31.12. eines Jahres ein ganz besonderes Datum ist, an dem irgend etwas unglaublich Spektakuläres passiert. Entspannen wir uns also. Es ist das letzte Datum unserer persönlichen Zählweise der Tage und Monate eines Jahres. Sonst nichts. Geht man näher ins Detail, verlässt man den Bereich der Tage und Monate und betritt die Welt der Stunden, Minuten und Sekunden. Es sind einfach nur zeitliche Einteilungen, von denen hier die Rede ist. Einteilungen und Einheiten, die es uns ermöglichen, allgemein verbindliche Zeitpunkte festzulegen, damit wir uns rechtskräftig über vergessene Hochzeitstage oder die überzogenen Versprechungen arschlahmer Pizzadienste aufregen können (fragen Sie mal einen Physiker nach der Planck-Zeit, und Sie werden Ihr persönliches Verhältnis zu Dingen wie Pünktlichkeit neu definieren müssen). Ein aktuelles Beispiel für willkürliche zeitliche Einteilungen ereilte uns am vergangenen Donnerstag. Bis um 23:59:59 Uhr befanden wir uns im Jahr 2020. Dann machte es „Klick“, plötzlich war es 00:00:00 Uhr, der Kalender an der Wand verwandelte sich in einer Millisekunde vom treuen Gefährten durch die Tage zu Altpapier, der erste Tag des Jahres 2021 brach an, und wir zählten wieder von vorne los. Was ich meine ist: Am Ende ist Silvester nicht mehr als nur ein Zeitpunkt, auf den wir uns geeinigt haben, und zu dem wir wieder beginnen, von vorne zu zählen. Hurra, der Planet hat es geschafft, eine weitere Runde um die Sonne zu drehen, ohne mit irgend etwas Nennenswertem zusammenzustoßen, wir alle haben es erlebt und überlebt, Glückwunsch dazu, und nun geht es ab in die nächste Runde ums Zentralgestirn, bitte gut festhalten und Vorsicht an der Bahnsteigkante. Natürlich kann ich verstehen, dass wir uns alle nach dem Ende dieses coronaverseuchten Drecksjahres gesehnt haben. Auch ich würde diese Runde um die Sonne gern so schnell wie möglich vergessen, und auch in mir keimt die Hoffnung, dass das kommende Jahr vielleicht nicht ganz so miserabel abläuft, wie sein Vorgänger. Also hier erst mal von Herzen: Ein frohes und hoffentlich gesundes neues Jahr! Da steht es nun vor uns, ein glänzendes und neues 2021, völlig unbenutzt und originalverpackt. Ein Jahr voller Versprechungen und Hoffnungen, ein Jahr des Neubeginns und der einfachen Freuden des täglichen Lebens. Wir werden wieder Freunde treffen und in Restaurants gehen dürfen, wir werden Konzerte besuchen und an Schlägereien auf der Dorfkirmes teilnehmen können, und wenn wir mit Gesichtsmaske im Schalterraum unserer Hausbank auftauchen, werden wieder die Bullen kommen, nicht der Kreditberater. Allerdings wäre ich nicht so ein liebenswert-unsympathischer Misanthrop und chronischer Miesepeter, wenn ich an dieser Stelle nicht zwanghaft auf die Doofheit der Menschheit im Allgemeinen hinweisen müsste. Darf ich kurz? Das Virus grassiert, die Neuinfektionen und Todesfälle erreichen die höchsten Stände seit Ausbruch der Pandemie, die Pfleger laufen auf der Felge, Intensivstationen arbeiten am Limit und trotzdem melden die Skilifte in Österreich erste Überlastungserscheinungen. Auch habe ich soeben die Nachricht erhalten, dass die mündigen und verantwortungsbewussten Bürger unseres hochentwickelten Industrielandes auf der Autobahn vor der Ausfahrt Winterberg im Sauerland momentan auf strammen 15 Kilometern im Stau kleben, weil man in Winterberg so toll auf einem Schlitten einen klatschnassen Hügel runter rutschen kann. Ach ja, hier mal was aus eigener Erfahrung: Einige Tage vor Silvester sah ich einen Mann beim Discounter meines Vertrauens, der sich allen Ernstes den Mund-Nasen-Schutz vom Gesicht zog, um mal richtig herzhaft abzuhusten. Dann zog er die Maske wieder hoch und legte sich ein Pfund Hackfleisch mit Tierwohl-Aufkleber in den Wagen. Irgendwelche Fragen? Ich persönlich bin ja der Meinung, dass es den Umstehenden in solchen Situationen gestattet sein sollte, einem solchen Idioten öffentlich einen 750g-Klotz Tiefkühl-Entenbrust ins Gesicht zu dreschen, aber dann fällt mir wieder ein, dass ich ja kultiviert bin. Glück für Horst. Wo war ich? Ach ja. Auch ich habe am Silvesterabend tonnenweise der üblichen vorgefertigten Whatsapp-Nachrichten erhalten: lustige Filmchen und Bildchen, die sich in erstaunlicher Anzahl mit nicht ganz jugendfreien Vorschlägen dazu beschäftigen, was das Jahr 2020 mal mit seinem Knie versuchen sollte. Okay, ein paar waren echt gut, aber wenn wir uns ausreichend über diese Dinge beömmelt haben, sollten wir uns ganz schnell wieder darüber klar werden, dass wir uns in Sachen Corona nicht ins nächste Jahr gerettet haben. Das Virus schon. Was die Pandemie angeht, war vergangenen Donnerstag der 01.13.2020. Nennen wir es den ersten Dezembruar. Oder von mir aus auch den ersten Januember. Es spielt keine Rolle. Wir betreten ein neues Jahr, doch das hat nichts (überhaupt nichts!) mit der noch immer vorherrschenden Situation zu tun. Wir haben uns nicht in das neue Jahr gerettet, wie man so oft fälschlicherweise hört. Das Virus Sars Cov-2 hat sich in das neue Jahr gerettet. Das Virus hat es geschafft, nicht wir. Wir sollten also die Kirche im Dorf lassen und uns darüber klar werden, dass es nicht das Jahr 2021 ist, welches uns das normale Leben zurückbringen könnte. Diesen Job müssen wir noch immer selbst erledigen. Das ist anstrengend und geht einem so langsam aber sicher auch verstärkt auf den Geist, aber das ändert ja nichts an den Tatsachen. Machen wir also weiter, als sei nichts geschehen, denn es ist nichts geschehen. Es war halt nur Silvester. Der 31.12.2020. Gefolgt vom 01.01.2021. Zwei aufeinanderfolgende Daten in unserem Schema der Einteilungen zeitlicher Einheiten. Die Pandemie betreffend hat sich in der Sekunde zwischen 23:59:59 und 00:00:00 exakt gar nichts geändert. All denen, die schön feiern waren, weil sie ja den Durchblick haben, und sowieso nichts passieren wird sei gesagt: Ich hoffe, Ihr behaltet Recht, denn sonst seid Ihr eine Gefahr für alle, die mir nicht so leid tun, wie ihr. Und an Alle, die versucht haben, sich nicht wie ein Idiot aufzuführen: Auch, wenn wir Partys gemieden haben... zumindest war uns klar, dass auch wir nicht alleine gefeiert haben. Dieses Jahr gab es einen Gast, auf den wir im nächsten Jahr hoffentlich keine Rücksicht mehr nehmen müssen. Zisch, Knatter, Bumm, Allerseits. Und nichts für ungut. B.